An einem Tag wie diesem
gewinne nie viel, aber er verliere auch nichts. Als er mit Marthe zusammen war, wagte er mehr als sonst, vielleicht, um sie zu beeindrucken. Er hatte Glück, nach einer halben Stunde hatte er zweitausend Francs gewonnen. Sie gingen an die Bar und tranken ein Glas Champagner.
»Dann schlug er vor, wir sollten ein Hotelzimmer nehmen. Ich war empört und bin davongelaufen.«
Philippe fing an, ihr Briefe zu schreiben. Erst hatte sie nicht geantwortet. Irgendwann war sie so wütend geworden, dass sie ihm geschrieben hatte, er solle aufhören damit. Danach schrieben sie sich regelmäßig. Die Briefe wurden immer intimer, sie erzählten sich alles über ihre Beziehungen und über ihre Phantasien.
»Ich schrieb ihm Dinge, über die ich noch nie mit jemandem gesprochen habe. An die ich noch nicht einmal gedacht habe. Es geschah beim Schreiben. Wir haben uns gegenseitig hochgeschaukelt.«
Ein paar Mal trafen sie sich in Enghien, aber Philippe versuchte nie mehr, Marthe zu verführen. Sie gingen um den See, ohne zu sprechen und ohne sich zu berühren. Sie betrachteten sich gegenseitig, einer ging hinter dem anderen her, oder sie entfernten sich voneinander und beobachteten sich aus der Distanz. Manchmal gingen sie ins Casino und spielten am selben Tisch und taten, als kennten sie sich nicht. Oder sie gingen in eine Buchhandlung und folgten einander zwischen den Regalen hindurch oder drängten sich aneinander vorbei, sodass ihre Körper sich flüchtig berührten. Wenn Marthe dann den Zug nahm, stand Philippe auf dem anderen Bahnsteig. Sie wartete auf ein Zeichen von ihm, aber er stand nur da und schaute sie an. Einige Tage darauf schickte er ihr einen Brief, in dem er beschrieb, wie er mit ihr schlief, lange, obszöne Beschreibungen, die vollkommen unerotisch waren und sie gerade deshalb erregten.
»Es war seltsam. Ich habe gar nicht gewusst, dass ich das kann«, sagte Marthe und lachte. »Es war wie ein Spiel.«
Dann entdeckte Philippes Frau Marthes Briefe. Sie schickte Kopien an Jean-Marc, und es gab einen riesigen Aufruhr, obwohl Marthe und Philippe nie miteinander geschlafen hatten. Vielleicht wäre das einfacher gewesen für Philippes Frau, sagte Marthe.
»Wenn wir zusammen geschlafen hätten. Sie hätte über mich herziehen können, und die Sache wäre erledigt
gewesen. Aber sie muss gemerkt haben, dass wir etwas geteilt hatten, was sie nie würde haben können.«
»Leidenschaft?«
Marthe zuckte mit den Schulter.
»Ein Geheimnis. Was weiß ich.«
Sie hätten noch einmal telefoniert, sagte sie. Da habe Philippe geweint. Er habe gelitten wie ein Tier. Sie habe später manchmal gedacht, er sei deswegen krank geworden. Das sei natürlich Unsinn.
»Hast du ihn geliebt?«, fragte Andreas.
»Ich weiß nicht«, sagte Marthe, »ich weiß nur, dass ich bereit war, alles zurückzulassen. Jean-Marc, die Kinder, alles. Ich weiß nicht, ob das Liebe ist.«
»Und warum hast du es nicht gemacht?«
»Er wollte nicht. Er sagte, er würde sich nie verzeihen, meine Familie zerstört zu haben. Er selbst hat nie Kinder gehabt. Kennst du seine Frau?«
Andreas nickte. »Hast du ihn noch einmal gesehen?«
»Nur aus der Distanz. Zur Beerdigung bin ich nicht gegangen.«
Andreas war plötzlich eifersüchtig auf Philippe. Er konnte sich das Gefühl nicht erklären. Marthe war ihm sympathisch, sie gefiel ihm, aber er war nicht verliebt in sie. Vielleicht beneidete er Philippe weniger um Marthe als um ihre Liebe zu ihm. Er selbst hatte immer darauf geachtet, nicht zu sehr geliebt zu werden, hatte sich nach jedem Schritt, den eine Frau auf ihn zugegangen war, einen Schritt von ihr entfernt. Er hatte die Verunsicherung nicht ertragen, die Abhängigkeit.
»Ich war nie für die Ehe«, sagte er. »Man kann Menschen nicht besitzen.«
»Es ging nicht um Besitz«, sagte Marthe. »Es war wie eine Sucht, mit ihm zusammen zu sein.«
Sie sagte, sie wolle so etwas nicht noch einmal durchmachen.
»Meinst du, das war Jean-Marcs Rache? Dass er mit Delphine geschlafen hat?«
Marthe schüttelte den Kopf. Es sei schon früher vorgekommen. Sie habe es jedes Mal gemerkt. Außerdem sei das nicht seine Art. So raffiniert sei er nicht. Er habe sich wohl wirklich verliebt. Jetzt werde er das durchmachen, was sie durchgemacht habe. Eigentlich tue er ihr leid.
»Du hast keine Angst, dass er dich verlässt?«
Marthe gab keine Antwort. Sie stand auf und sagte, sie gehe an den Strand, um nach den Kindern zu schauen. Ob Andreas mitkomme?
Die Sonne
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