An einem Tag wie diesem
voll hastig rauchender Menschen, die nervös auf die Lautsprecherdurchsagen lauschten und immer wieder auf die Uhr schauten.
Kurz vor halb zehn abends kam Andreas in Brest an. Es war immer noch hell. Kaum war er ausgestiegen, zündete er sich eine Zigarette an. Am Ende des Bahnsteigs wartete Jean-Marc auf ihn. Sie gaben sich die Hand.
»Rauch erst mal fertig«, sagte Jean-Marc. »Hast du Hunger? Wir haben schon gegessen. Die Kinder mussten ins Bett.«
Andreas sagte, er habe im Zug ein Sandwich gegessen. Jean-Marc wollte seinen Koffer nehmen. Andreas wehrte ab. So krank sei er nicht, sagte er.
»Du bist krank?«
»Nur ein lästiger Husten. Es ist nichts.«
Die Fahrt nach Lanvéoc dauerte eine Stunde. Die Straße war kurvig, und Andreas musste sich konzentrieren, damit ihm nicht übel wurde.
»Ist das Meer warm?«, fragte er.
»Warm genug«, sagte Jean-Marc. »Wir sind jeden Tag baden gegangen, seit wir hier sind. Nur Marthe geht nicht ins Wasser. Für die muss es fünfundzwanzig Grad warm sein.«
Marthe war eine Pariserin, wie Andreas sie sich vorstellte. Sie war kulturell interessiert, las viel und ging zu Ausstellungen und klassischen Konzerten. Sie war schlank und wirkte größer, als sie eigentlich war. Sie trug elegante, aber praktische Kleider und färbte ihre Haare, die sie in einem Pagenschnitt trug, solange Andreas
sie kannte. Er hatte sich oft gefragt, was sie an Jean-Marc gefunden hatte. Man konnte kaum verschiedener sein als die beiden. Trotzdem schienen sie einigermaßen gut miteinander auszukommen. Manchmal beneidete Andreas sie um ihr Leben, das so einfach zu sein schien. Wenn Jean-Marc von den Kindern erzählte, die neue Turnschuhe brauchten oder Kleider wollten, wie sie ihre Freunde trugen. Wenn er seinen Urlaub plante und Stapel von Prospekten von Feriensiedlungen anschleppte, die alle gleich aussahen. Reichte das Geld für einen neuen Wagen? Vielleicht nächstes Jahr. Oder man könnte einen leasen. Wochenlang wurde gerechnet, wurden technische Daten und Preise verglichen. Einmal hatte Jean-Marc an einem Marathon teilgenommen. Die Vorbereitungen beschäftigten ihn ein halbes Jahr lang. Er schaffte es ins vordere Drittel der Rangliste und erzählte es jedem mit einem so kindlichen Stolz, dass man es ihm gar nicht übel nehmen konnte. Andreas sah Jean-Marc und Marthe abends im Wohnzimmer sitzen und rechnen, ihre Ferien planen, fernsehen. Wie leicht sie lachten, wenn sie sich die gewöhnlichsten Dinge erzählten. Sogar wenn sie sich beklagten, taten sie es lachend, als sei alles ein Spiel.
»Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?«, fragte er.
»Ich habe mit ihrem Bruder Fußball gespielt. Ich habe sie schon als junges Mädchen gekannt. Aber gefunkt hat es erst Jahre später, als wir uns bei seiner Hochzeit wiedergesehen haben.«
Er schien noch etwas sagen zu wollen, aber dann
schwieg er. Seine gute Laune hatte etwas Aufgesetztes, und obwohl er braun gebrannt war, wirkte er müde.
Das Haus stand abseits des Dorfes, direkt an der Landstraße. Es war Jean-Marcs Elternhaus gewesen. Seine Eltern waren vor einigen Jahren in eine Altersresidenz gezogen, und seither wurde das Haus von ihm und seinen Geschwistern als Ferienhaus genutzt. Marthe saß im Wohnzimmer und schaute sich im Fernsehen eine politische Diskussion an. Sie begrüßte Andreas flüchtig und ohne aufzustehen. Auch sie sah müde aus. Jean-Marc brachte Andreas auf sein Zimmer.
»Du weißt ja, wo alles ist«, sagte er. »Komm herunter, wenn du dich eingerichtet hast. Ich habe eine Flasche Wein aufgemacht. Der wird dir schmecken.«
Andreas packte seinen Koffer aus und wusch sich im Bad Gesicht und Hände. Er gab sich Mühe, leise zu sein, um die Kinder nicht zu wecken. Als er die Treppe hinunterging, hörte er lautes Reden aus der Küche. Die Tür war nur angelehnt. Er klopfte und trat ein. Jean-Marc saß am Tisch, Marthe stand an das Spülbecken gelehnt. Die beiden schwiegen. Sie schienen sich gestritten zu haben.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jean-Marc und stand auf. Er legte Andreas den Arm um die Schultern. »Schön, dass du hier bist.«
Er nahm ein Glas aus dem Küchenschrank, schenkte es voll und reichte es Andreas.
»Wollen wir uns raus setzen?«
»Es ist zu kalt«, sagte Marthe.
»Dann zieh dir etwas an«, sagte Jean-Marc unwillig. »Andreas will bestimmt rauchen.«
Marthe ging zur Tür. Als sie an Andreas vorbeikam, legte sie kurz eine Hand auf seinen Arm und fragte, wie lange er bleiben werde. Andreas sagte, er
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