An einem Tag wie diesem
Ende des Steges setzten sie sich auf die Holzplanken und schauten über den See. Die Luft war sehr klar hier, das deutsche Ufer schien ganz nah zu sein.
»Schau«, sagte Fabienne und zeigte auf einen Haubentaucher, der nicht weit von ihnen entfernt abtauchte. Sie warteten schweigend, bis er wieder an die Oberfläche kam. Andreas legte sich auf den Bauch und streckte die Hand ins Wasser.
»Das Wasser ist wärmer als die Luft«, sagte er. »Willst du baden?«
»Warum nicht«, sagte Fabienne. »Wenn wir schon hier sind.«
Sie zog sich im Wohnwagen um, er draußen auf der Wiese. Sie trat in die Tür und nahm ihm das Bündel mit seinen Kleidern ab und verstaute es im Wagen.
Er ging hinter ihr her über die Wiese. Sie ging schneller als vorhin, vielleicht war ihr kalt oder sie spürte, dass er sie betrachtete. Sie trug einen einteiligen Badeanzug und hatte sich ein Tuch um die Taille gebunden. Andreas versuchte sich zu erinnern, wie sie ausgesehen
hatte, als er sie kennenlernte. Seit er sie wiedergesehen hatte, waren die alten Bilder wie ausgelöscht. Er hatte ihr gesagt, sie habe sich nicht verändert, aber sie musste sich verändert haben in all der Zeit.
Das Wasser war kälter, als er gedacht hatte. Die Kälte nahm ihm den Atem. Sie schwammen ein Stück weit hinaus und dann parallel zum Ufer. Andreas hatte Fabienne überholt und schwamm voraus mit kurzen Zügen, um sich nicht zu weit von ihr zu entfernen. Nach wenigen hundert Metern machten sie kehrt und schwammen zurück.
Andreas stieg aus dem Wasser. Fabienne hielt sich an der Metallleiter fest und ruderte mit den Beinen. Sie schaute zu ihm hoch und lächelte. Er ging auf dem Steg hin und her, schüttelte die Arme und sprang ein paar Mal auf und ab. Dann kam auch Fabienne heraus. Sie wickelten sich in ihre Badetücher und setzten sich nebeneinander auf den Steg, so nah, dass ihre Schultern sich berührten. Die Sonne war verschwunden. Andreas schlotterte vor Kälte.
»Frierst du nicht?«, fragte er.
»Ein bisschen.«
Eine Zeit lang schauten sie schweigend hinaus aufs Wasser, dann legte Andreas eine Hand auf Fabiennes Schulter. Er fühlte sich plötzlich sehr jung und unsicher. Er räusperte sich.
»Ja?«, fragte Fabienne, und Andreas fragte, ob sie sich erinnere, wie er sie geküsst habe vor zwanzig Jahren. Sie sagte, an jenem Tag sei es weniger kalt gewesen. Er sagte, er habe sie sehr geliebt damals.
Er betrachtete sie von der Seite, ihr Profil, den
schmalen Hals und den Nacken, auf dem ein paar Wassertropfen glänzten, ihr Haar, das an den Spitzen dunkel war vor Nässe. Sie schaute hinaus auf den See und sagte mit einer etwas heiseren Stimme, davon habe sie nichts gemerkt.
»Ich habe dir einen Brief geschrieben. Aber ich habe ihn nicht abgeschickt.«
»Du frierst«, sagte Fabienne, »komm, wir ziehen uns an.«
Sie rannten über den Steg und durch das nasse Gras zum Wohnwagen. Andreas kam außer Atem und musste husten. Er folgte Fabienne in den Wohnwagen. Sie reichte ihm seine Sachen. Während er noch zögerte, hatte Fabienne schon den nassen Badeanzug abgestreift und hängte ihn über eine Schnur, über der eine Kinderbadehose hing. Einen Moment lang stand sie nackt vor ihm. Sie lächelte halb unsicher, halb spöttisch, dann wandte sie sich ab und zog sich an.
Sie verließen das Grundstück. Andreas sah auf die Uhr, es war noch nicht zehn. Schweigend gingen sie den Feldweg entlang. Sie entfernten sich von den Autos, kamen an ein paar eingezäunten Grundstücken vorbei und an einer großen Wiese. Der Weg näherte sich dem See, aber durch den Schilfgürtel war das Wasser nicht zu sehen. Nach ein paar hundert Metern zweigte ein schmaler Pfad ab, der in das Schilf hineinführte. Fabienne ging voraus. Andreas folgte ihr. Der Pfad endete vor einer hölzernen Aussichtsplattform. Sie stiegen die steile Treppe empor. Oben war ein Schild, auf dem stand, die Plattform sei vom ornithologischen Verein errichtet worden, »für alle Freunde der
Vogelwelt und alle, die das Staunen noch nicht verlernt haben«.
Fabienne lehnte sich über das Geländer und schaute hinaus auf den See. Sie fragte, ob Andreas immer noch kalt sei. Nein, sagte er, jetzt sei es besser. Er stand dicht hinter ihr. Er legte beide Hände auf ihre Schultern. Sie senkte den Kopf und lehnte sich etwas vor. Er fasste sie um die Hüften, fuhr mit den Händen unter ihre Regenjacke. Sie richtete sich auf, sonst bewegte sie sich kaum. Er küsste ihren Nacken, berührte ihre Brüste. Sie drehte sich um.
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