An einem Tag wie diesem
Als er sie auf den Mund küssen wollte, wandte sie das Gesicht ab. Er versuchte, eine Hand in ihre Jeans zu schieben. Sie machte sich los und öffnete den Gürtel und den Knopf ihrer Hose.
»So geht es besser«, sagte sie.
Sie liebten sich auf der Aussichtsplattform. Die Bretter waren feucht und kalt. Fabienne hatte Schuhe und Hose ausgezogen. Sie hatte ihr Sweatshirt hochgeschoben und den BH , die Jacke hatte sie anbehalten. Sie hielt die Augen geschlossen und lag reglos da. Sie wirkte sehr nackt und verletzlich. Andreas musste an Polizeifotos denken, von Tatorten, bleiche, leblose Körper an Straßenböschungen, in Wäldern oder im Schilf.
Sie verabschiedeten sich auf dem Parkplatz. Andreas setzte sich in seinen Wagen und schaute zu, wie Fabienne sich anschnallte, den Rückwärtsgang einlegte und wegfuhr. Sie wirkte ganz entspannt, als sei nichts geschehen. Andreas hatte sich angeschnallt, aber er fuhr nicht los. Es hatte zu nieseln angefangen, und die Landschaft war nur noch verschwommen zu sehen. Es
war kalt im Auto. Andreas' Atem dampfte. Er dachte an Fabienne. Er war überrascht gewesen von der Zielstrebigkeit, mit der sie seine Hände geführt hatte, von der Sachlichkeit ihrer Hingabe und dann von der plötzlichen, schnellen Lust. Das Ganze hatte nicht mehr als eine Viertelstunde gedauert. Dann hatte Fabienne ein Paket Papiertaschentücher aus der Jacke gezogen und sich sorgfältig abgewischt. Sie kam Andreas sehr fremd vor. Es war ihm, als habe sich durch die Nacktheit auch ihr Gesicht verändert. Er erkannte sie erst wieder, als sie sich angezogen hatte.
Er wusste nicht, was er von ihr erwartete. Er wusste nicht einmal genau, was er von ihr wollte. Dass sie ihre Familie verließ für ihn? Dass sie mit ihm ging, nach Frankreich oder sonst wohin? Dass sie seine Geliebte würde, dass sie sich alle zwei Wochen trafen, sie immer mit schlechtem Gewissen? Sie würden sich aneinander gewöhnen, vielleicht mehr als Ehepaare sich aneinander gewöhnten, weil sie nichts teilten außer ihrer Liebe.
Er war nicht ins Dorf gekommen, um eine Geschichte anzufangen, sondern um eine Geschichte abzuschließen, um endlich Gewissheit zu haben. Hätte Fabienne ihn geohrfeigt, als er sie geküsst hatte, damals oder heute, er wäre darüber hinweggekommen, wie er über andere unglückliche Liebesgeschichten hinweggekommen war. Es ging darum, von ihr eine Antwort zu erhalten, endlich zu wissen, ob sie ihn liebte, ob sie ihn hätte lieben können. Aber sie hatte ihm keine Antwort gegeben. Sie sagte, er solle sie nicht zu Hause anrufen. Er fragte, wie sonst er sie erreichen könne. Sie sagte, sie werde sich morgen bei ihm melden.
Er aß in dem Fischrestaurant, in dem er mit Delphine hatte essen wollen. Früher war es bekannt gewesen für seine gute Küche. Das Essen schmeckte ihm nicht. Es wäre schön, wenn Delphine hier wäre, dachte er.
Den ganzen Nachmittag über blieb er auf seinem Zimmer. Er hoffte, Fabienne würde anrufen. Plötzlich war er nicht mehr sicher, ob er ihr die richtige Zimmernummer gegeben hatte. Vielleicht hatte sie die Nummer vergessen und rief die Rezeption an, und niemand nahm ab.
Fabienne meldete sich am nächsten Morgen, wie sie es versprochen hatte.
»Können wir uns sehen?«
»Manuel und Dominik lassen den Heißluftballon steigen«, sagte sie. »Ich habe Zeit bis zum Mittagessen.«
»Treffen wir uns beim Wohnwagen?«
»Sie haben das Auto genommen.«
Sie verabredeten sich bei der Hütte, bei der sie sich kennengelernt hatten.
Andreas ging durch das Dorf und durch das Gewerbegebiet. Am Himmel waren nur vereinzelte Schleierwolken zu sehen. Für den Nachmittag waren wieder sommerliche Temperaturen angesagt, aber der Morgen war kühl. Es war der erste Tag des Nachsommers, wenn der Himmel plötzlich dunkler erschien und die Luft so klar, als sei alles ganz nah.
Andreas war zu früh am verabredeten Treffpunkt. Auf der Feuerstelle lagen nasse, verkohlte Äste und auf dem Boden Abfälle. Die Hütte gehörte der Gemeinde, an der Wand hing in einem kleinen Metallrahmen die
Hausordnung. Andreas las die Liste der Verbote und Vorschriften, Abfälle in die dafür vorgesehenen Behälter werfen, keine laute Musik spielen, Hunde nicht frei laufen lassen.
Fabienne kam fast auf die Minute pünktlich. Sie trug wieder die gelbe Regenjacke. Sie lehnte ihr Fahrrad an einen Baum. Andreas umarmte sie. Sie küsste ihn auf die Wangen.
»Wollen wir spazieren gehen?«
Sie gingen durch den Wald. Es musste derselbe
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