An Paris hat niemand gedacht
soll. Ich habe ihr gesagt, sie soll doch einfach die Ärzte machen lassen, was die für richtig halten, dem Alten sei so am besten geholfen. Musste mir daraufhin mal wieder anhören, was für eine herzlose Person ich bin.«
»Tröste dich, das habe ich letztens auch vorgeworfen bekommen.«
»Was ihn angeht, hast du jede Berechtigung dazu. Letzte Woche bin ich in der Klinik vorbeigefahren, weil ich in der Nähe war. Kein schöner Anblick, aber das erspare ich dir lieber.«
Greta setzt sich ruckartig gerade, was den Kater dazu veranlasst, mit einem empörten Maunzen seine Krallen haltsuchend in ihre Oberschenkel zu schlagen.
»Du hast ihn erst vor ein paar Tagen besucht?«
»Herrgott, jetzt bleib mal locker! Warum fragst du überhaupt?«
»Ich weiß es selbst nicht.«
»Dir braucht er nicht leidzutun, aber ich bin immer noch seine Tochter, auch wenn er ein Arschloch war.«
»War?«
»Jetzt ist er ein Haufen Elend. Lass uns lieber nicht von ihm sprechen. Das bringt nichts, hat noch nie etwas gebracht.«
Greta nickt und kann dennoch nicht verhindern, dass ihr der nächste Satz über die Lippen kommt.
»Katharina hat mir gestern eine Nachricht hinterlassen, in der sie sagte, er wünscht, seinen Frieden mit mir zu machen.«
Sophia zuckt mit den Schultern. »Kann ich mir nicht vorstellen.«
Sie erhebt sich, wie um deutlich zu machen, dass dieses Gespräch nun definitiv zu Ende ist, und beginnt ihr Gedeck zusammenzuräumen. »Bist du fertig?«
»Ja.« Greta greift nach ihrem Teller, gibt Olivier einen sanften Schubs und trägt Butter und Marmelade zum Kühlschrank.
Eines der Fotos zieht ihre Aufmerksamkeit auf sich: leicht vergilbt vor dem üppig blühenden Hintergrund einer Hibiskushecke: zwei Mädchengesichter, ihre Mädchen, kaum älter als fünf oder sechs Jahre, Sophia und Marta, eine blond, eine dunkel, beide über einen winzigen Gegenstand gebeugt, der in Martas Hand den Blicken der Betrachterin verborgen bleibt. Olivier startet an Gretas Waden einen weiteren Annäherungsversuch, während ihr das Herz bis zum Hals schlägt.
»Das ist Marta!«
»Marta und meine Wenigkeit, wenn man’s genau nehmen will.«
»Ihr beide. Woher hast du das Bild? Und warum …?«
Energisch zieht Sophia die Kühlschranktür auf und damit das Foto aus Gretas Reichweite. Die Frage bleibt im Raum, verfängt sich im Geklapper von Flaschen und Marmeladengläsern, die Sophia etwas zu hastig und geräuschvoll in den vollgestopften Fächern unterzubringen versucht. Während sie mehrmals zum Tisch geht, macht sie keine Anstalten, die Tür wieder zu schließen, lehnt sich, als es schließlich nichts mehr wegzuräumen gibt und jeglicher Vorwand für einen offen stehenden Kühlschrank beseitigt ist, wie beiläufig mit dem Rücken dagegen.
»Du kannst gerne hier drin rauchen, mir macht das nichts aus.«
Sie deutet auf den Aschenbecher, der am anderen Ende des Raums auf der Fensterbank steht.
»Danke. Ich mache das Fenster auf.«
»Lieber nicht. Der dusselige Kater ist mir letzte Woche rausgesprungen, und ich habe fast eine halbe Stunde gebraucht, bis ich ihn unter einem parkenden Auto hervorgezerrt hatte.«
»Ich passe auf.«
Greta holt die Zigarettenpackung aus ihrer Handtasche, schlendert zum Fenster, den Kater stets an ihren Fersen. Ein leichter Wind weht herein, als sie den rechten Flügel öffnet und die erste Wolke ihrer frisch angezündeten Zigarette in Oliviers Richtung bläst, der sich beleidigt davonmacht. Mühsam unterdrückt sie den Impuls, dem Tier zu folgen, es um Vergebung zu bitten oder ihm mehr Wurst zukommen zu lassen, damit er sie wieder mag. Das ist bloß eine Katze, denkt Greta, nichts weiter als ein leicht übergewichtiger Siamkater, es kann mir egal sein, ob er mich liebt oder nicht. Ihre Lungen füllen sich mit Rauch. Von draußen dringt das Geräusch eines monoton gegen die Hauswand getretenen Balls herein, Kindergelächter, weiter weg das Heulen eines Notarztwagens. Greta schaut auf die Uhr. Noch etwa zehn Minuten, dann sollte sie sich ein Taxi rufen. Bis zum Flughafen muss sie eine knappe Stunde einplanen, wenn sie ganz sichergehen will. Sophia verschwindet im Bad, taucht kurz darauf frisiert wieder auf.
»Musst du los?«
»Bald.«
»Ich wollte mir gleich ein Taxi rufen.«
Greta zündet sich eine weitere Zigarette an. Der Kater hat sich auf den Esstisch gesetzt, den dunklen Schwanz elegant um die Vorderpfoten gelegt. Seine blauen Augen sind streng auf Greta gerichtet, die den Blick abwendet.
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