An Paris hat niemand gedacht
sie öfter nachdenklich von der Seite betrachtet, das immerhin war ihr nicht entgangen, aber es hatte sie nicht weiter beschäftigt.
Den Smalltalk nach dem offiziellen Teil umging Greta hart an der Grenze zur Unhöflichkeit, indem sie sich mehrfach zum Rauchen verabschiedete und die gängige »Zigarettenlänge« so weit hinauszögerte wie möglich.
Beim Abschied nahm Seebacher Greta auf die Seite, begann ein Gespräch über Calvas zunehmend Besorgnis erregenden Gesundheitszustand, dem Greta etwas rüde mit dem Hinweis auf die fortgeschrittene Stunde ein Ende bereitete.
Seebacher junior ist der Letzte, mit dem sie sich darüber unterhalten mag, was aus der Airport-Linie wird, wenn Ernest Calva nicht mehr da sein sollte. Dass er das Projekt gern in jüngere Hände legen würde, ahnt sie schon länger, noch kommt er an ihr nicht vorbei. Aber im Grunde verliert auch das an Bedeutung.
Der Schaum beginnt über den Rand der Wanne zu kriechen, sie dreht mit hastigen Bewegungen das Wasser ab. Viel zu heiß!
Sachte lässt sie sich ins Wasser gleiten, streckt die müden Beine aus und betrachtet ihre Zehen, die eine Pediküre vertragen
könnten. Auch ein Friseurtermin wäre fällig. Übermorgen muss sie früh um vier wieder los, wenn sie sich nicht doch krankmeldet. Egal, heute braucht sie das nicht mehr zu entscheiden. Aus dem Wohnzimmer tönt Juliette Gréco: »Sous le ciel de Paris.« Greta legt ihren Kopf zurück, schließt die Augen und zieht genussvoll den Rauch einer leicht angefeuchteten Zigarette ein, deren Asche in den Schaum rieselt. »Heute muss ich gar nichts mehr«, erzählt sie den dunkelblauen Fliesen, während das Telefon nun schon zum dritten Mal klingelt.
Als sie nach dem Hörer greift, sieht sie ihre nassen Fußspuren auf dem dunklen Parkett eine Linie vom Bad zum Flur ziehen und muss an diesen jungen Mann bei Sophia denken, Nick. Vielleicht gerät deshalb ihr »Ja, bitte?« eine Spur freundlicher als gewöhnlich.
»Mama …« Es dauert eine ganze Weile, bis Greta aus den schluchzend hervorgebrachten Worten so etwas wie eine Nachricht heraushören kann: »Papa ist gestorben … Das Krankenhaus hat angerufen … Ich weiß nicht, was ich tun soll …«
»Weiß ich auch nicht. Ruf Sophia an.«
Das Schluchzen verstummt augenblicklich.
»Wie bitte?«
»Sag deiner Schwester Bescheid.«
»Hab ich schon.«
»Und?«
»Sie sagt, sie kümmert sich von München aus um die Beerdigung, auch was das Finanzielle angeht, ich soll mir da keine Sorgen machen.«
»Na also.«
Katharinas Atem stockt, setzt dann schnaufend wieder ein.
»Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?«, faucht sie.
Zorn ist noch immer das beste Mittel gegen Trauer, denkt
Greta, hält den Hörer etwas von ihrem Ohr ab und lässt den Ausbruch ihrer Tochter über sich ergehen.
»Weißt du was, du bist unmöglich! Mein Vater ist gestorben, und ich hätte eine Mutter gebraucht, die mir hilft, mit dieser Situation umzugehen. Du aber speist mich mit deiner Kaltblütigkeit ab. Du kannst mich mal! Den ganzen Tag versuche ich dich zu erreichen, aber du scheinst es ja nicht für nötig zu halten, mich zurückzurufen. Ignorierst du neuerdings meine Anrufe vollkommen? Was habe ich dir eigentlich getan? Niemand ist hier, um mir beizustehen, keiner hält es für angebracht, sich von ihm zu verabschieden, ich muss jetzt allein in die Klinik fahren. Das ist so ungerecht!«
»Tu das nicht, Kleines.«
»Was?«
»Fahr nicht dorthin, schau dir seine Leiche nicht an!«
»Ich bin Krankenschwester, er wäre nicht der erste Tote, den ich zu sehen kriege.«
»So meine ich es nicht.«
Katharina antwortet mit Schweigen, dem Greta nichts entgegenzusetzen weiß. Das Klopfen in ihrem Kopf setzt wieder ein, am liebsten würde sie auflegen.
»Katharina, bist du noch dran?«
Ein beleidigtes Schnaufen am anderen Ende der Leitung. Gretas Blick fällt auf das Buch, das sie auf dem Wohnzimmertisch abgelegt hat. Vielleicht hilft’s, hatte Sophia geschrieben.
»Kommst du wenigstens zur Beerdigung?« Katharinas Stimme klingt gereizt, denkt Greta, meine Kleine geht von einem klaren Nein aus und macht sich bereit, mit Entrüstung zu kontern.
Als Aura Poku gestorben war, kamen alle Baoulé nach Sakassu, und jeder Stamm blieb mindestens eine Woche, um zu tanzen, zu essen, zu feiern.
»Ich weiß noch nicht«, antwortet Greta und wundert sich.
»Überlegst du es dir ernsthaft?«
Zur Beerdigung … was denkt sie sich nur?
»Nicht jetzt, nicht heute Abend.«
»Wie
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