An Paris hat niemand gedacht
Honigglas neben ihren Teller.
»Finde dich damit ab, dass ich mich freue, dich zu sehen, Mama.«
Sophias Lächeln wärmt sie. Greta schließt zwei Wimpernschläge lang die Augen, wünscht sich, diesen Moment einfrieren zu können, zum Mitnehmen.
Bin ich froh, dass es dich gibt!
Nie würde sie es wagen, diesen Satz auszusprechen. Er würde die Tochter sofort zurück hinter den Panzer aus Lässigkeit und Ironie treiben, den abzulegen sie sich so gut wie nie erlaubt.
»Kopfschmerzen«, sagt sie stattdessen, »habe die halbe Nacht gearbeitet.«
»Willst du Aspirin?«
»Danke, geht schon.«
Sophia fischt sich ein Brötchen aus dem Korb, schneidet es auf und beginnt, Butter darauf zu schmieren. So sollte es öfter sein, denkt Greta: ein Zimmer voll morgenmüder Stille, die nach Kaffee und frischen Brötchen duftet, in der nichts weiter zu geschehen hat, als dass zwei Frauen gemeinsam ein Frühstück einnehmen.
Im Flur knallt eine Tür, und Nick steht frisch rasiert vor ihnen,
nunmehr mit Jeans und einem T-Shirt angetan, das seine besten Tage eindeutig hinter sich hat.
»Ich mache mich auf den Weg. Wir sehen uns eines schönen Tages im Seminar, Doc. Vermutlich darf ich nicht darauf hoffen, dich diese Woche nochmals dazu überreden zu können, meine Literaturliste mit mir durchzugehen?«
»Wir haben eine klare Absprache. Geh jetzt bitte!«
»Frau Wördehoff, es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen. Unter den gegebenen Umständen erscheint es mir allerdings anmaßend zu sagen: ›Auf Wiedersehen‹. Schade.«
»Hat mich auch gefreut, Nick, machen Sie’s gut.«
»Ich mach’s immer gut!«
Sophia verdreht entnervt die Augen.
»Raus!«
Nick verneigt sich theatralisch, schultert eine abgewetzte Ledertasche, in der sich allerhand Papier zu befinden scheint, und dreht sich auf dem Absatz seines Turnschuhs um. Durch den Flur erklingen sauber gepfiffen die ersten Takte von »No women no cry«, von der Wohnungstür her tönt noch einmal seine tiefe Stimme bis in die Küche: »Und danke für die Nacht!« Scheppernd fällt die Tür ins Schloss und verkündet Nicks endgültigen Abgang.
Sophia stöhnt. »Ich bin so bescheuert!«
»Gar nicht. Wie alt ist er?«
»Zehn Jahre jünger, falls du das sagen wolltest.«
»Fragen, nicht sagen. Es ist deine Sache, mit wem du … ich meine … entschuldige … kann ich noch Kaffee?«
Sophia nähert sich mit der Kanne, gießt Greta und sich ein, reicht Milch und Zucker. Aus dem Turban hat sich eine dicke Strähne gelöst, die kurz ins heiße Schwarz von Gretas Tasse eintaucht.
»Du hast dieselbe Haarfarbe, wie ich sie früher hatte.«
»Ich dachte, deine wären heller gewesen.«
»In natura waren sie genau wie deine.«
Hastig stopft sich Sophia die Locke unter den Turban, wobei er derart ins Wanken kommt, dass ihr das Handtuch vom Kopf gleitet. Achtlos wirft sie es auf einen freien Stuhl und steckt sich die noch feuchten Haare mit einer Spange hoch.
»Ich war immer froh, dass ich deine blonden Locken abbekommen habe. Ich frage mich, warum du deine seit Jahren so zurechtmachen lässt. Versteh mich nicht falsch; du siehst klasse aus, aber man erkennt dich auf den alten Fotos nicht wieder.«
»Das ist gut!«
Sophia nickt. »Verstehe.«
Das Geräusch von Zähnen, die sich in knusprige Brötchenkrusten bohren, während das Schweigen langsam seinen Klang verändert. Was vor Minuten noch schön und einfach war, nimmt an Schwere zu. Die Peinlichkeit, die einen dazu bringt, die Stille mit überflüssigen Worten zu beenden, um ihrem Sog zu entkommen, erreicht zuerst bei Greta ihren Höhepunkt.
»Was macht eigentlich dieser Journalist, mit dem du im vergangenen Jahr zusammen warst?«
Falsche Frage, denkt Greta, aber Sophia scheint daran keinen Anstoß zu nehmen.
»Henk. Wir sind immer noch zusammen, irgendwie. Er ist für ein halbes Jahr in Amsterdam, recherchiert für ein Buchprojekt.«
»Klingt interessant.«
»Klingt nach Fernbeziehung.«
Greta ist über Sophias Kichern so erleichtert, dass ihr eigenes eine Spur zu schrill gerät.
»Ich finde das mit dem Jungen nicht problematisch. Warum sollst du nicht deinen Spaß haben?«
»Na ja.«
»Kompliziert?«
»Vergiss es einfach. Nimmst du noch eins?«
Sophia schiebt ihr den Korb mit den Brötchen zu, beginnt sich selbst ein weiteres aufzuschneiden. Etwas Lebendiges schmiegt sich an Gretas Beine. Erschrocken fährt sie von ihrem Stuhl auf, was das kleine Tier dazu bringt, mit einem Satz auf die Anrichte zu
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