An Paris hat niemand gedacht
du meinst. Übrigens: Marta habe ich verständigt, aber die scheint es auch nicht für nötig zu befinden, sich bei mir zu melden.«
Es klickt in der Leitung. Gretas Stimme versagt ihren Dienst, sie hält noch eine Weile den Hörer, bis ihr einfällt, ihrerseits aufzulegen. Sie lässt sich mit dem Rücken an der Wand zu Boden gleiten, bleibt dort sitzen, die Stirn auf die Knie gepresst.
Die Gréco singt noch immer.
Si tu t’imagines, si tu t’imagines, fillette fillette,
si tu t’imagines, qu’ça va, qu’ça va, qu’ça va durer toujours …
Ich muss jetzt erleichtert sein, denkt sie, die Angst vor ihm, sie wird aufhören. Sie sollte … Die Erlösung kommt nicht mit einem Schlag, sie lässt auf sich warten. Richard. Tot. Das glaubt sich nicht so leicht. Die Leiche zu identifizieren: das wäre ihre, Gretas, Aufgabe gewesen, der sicherste Beweis, dass es diesmal wahr ist. Wie herzlos du bist, kaltblütig! Wenn Katharina sie jetzt sehen könnte. Sophia, Marta. Der Vater meiner Kinder. Dieser Mistkerl! Er wird nicht länger unser Leben vergiften.
Alles hätte sie erwartet, wenn die Nachricht von Richards Tod sie eines Tages erreichen sollte, nur eines nicht: Tränen.
Ce que tu te goures fillette fillette
Ce que tu te goures ….
Wie du dich da täuschst.
Sie weiß nicht, wie lange sie so dagesessen hat, das Gesicht in den Händen vergraben. Als sie aufsteht, ist Juliette Gréco verstummt.
Greta geht zur Küche, will gerade Wein nachschenken, als sie die Flasche in der Bewegung zum Glas stoppt und auf die Marmorplatte zurückstellt. Sie läuft zu ihrer Handtasche, gräbt das Handy aus, deaktiviert mit wenigen Handgriffen die Rufnummerunterdrückung und beginnt auf der Tastatur zu tippen:
LIEBE M ARTA, ICH WERDE RESPEKTIEREN, WENN DU WEITERHIN NICHTS MIT MIR ZU TUN HABEN WILLST.
DENNOCH: ER IST TOT. SOLLTEN WIR IHN NICHT ZUSAMMEN BEERDIGEN? GRETA
IV
Eine Familie
Seit zehn Minuten sitzen sie schon so da: die Ältere auf der Fensterseite, die Jüngere, mit dem Rücken zu ihr, an der Bar, beide rauchend, jede mit einem Glas vor sich, in dem die Eiswürfel schmelzen. Sie sind für achtzehn Uhr verabredet. Die Anzeige neben der Kasse blinkt 17:56 h.
Eine Gruppe Jugendlicher in durchnässten T-Shirts betritt unter Gelächter das Café, einige lassen Umhängetaschen und Rucksäcke zu Boden knallen, andere schütteln sich wie junge Hunde und scheuchen eine alte Frau auf, die bis dahin friedlich ihren Cognac schlürfte.
»Pass doch auf!«
»Entschuldigung!«
Die Alte wischt kopfschüttelnd Tropfen von Ärmel und Schulter, schimpft leise vor sich hin, während sie samt Schwenker und riesiger Handtasche unweit von Marta einen der Barhocker erklimmt.
Es regnet immer noch, denkt Marta und wirft erneut ihren Blick in einen der Spiegel, die in schweren Goldrahmen die Wände verkleiden. Sie ist dünn. Marta fragt sich, ob das schon immer so war. In nichts ähnelt sie der Frau, an die Marta sich erinnern kann. Und doch hat sie sie sofort erkannt. Wenige Sekunden nachdem Marta sich auf dem Barhocker niedergelassen hatte, ist ihr die schmale Gestalt aufgefallen, deren Profil das Spiegelbild leicht verzerrt. Greta ist schön, eine auffällige Erscheinung,
die sich dessen nicht bewusst zu sein scheint. Sie sieht aus dem Fenster, dann auf die Uhr, greift nach der nächsten Zigarette. Der Schlitz ihres knöchellangen Rockes gibt eine Wade frei, was das Interesse eines Mannes am Nachbartisch weckt. Unverwandt schaut er auf die Stelle, an der bei der nächsten Bewegung die Sicht auf ihr Knie eröffnet werden könnte.
Greta ignoriert seinen Versuch, ihr Feuer zu reichen. Sie lässt seine Hand in der Luft stehen, greift hinter sich in das Jackett, das sie über den Stuhl gehängt hat, zieht ein schmales silbernes Feuerzeug hervor und führt die Flamme zum Gesicht. Ihre Hände zittern. Erst beim dritten Anlauf gelingt es ihr, die Spitze der Zigarette zu treffen, hastig saugt sie am Filter, die Rauchsäule verwirbelt im Flattern ihres Atems. Ein großer Ring blitzt auf, als ein Lichtschein ihren Handrücken trifft. Plötzlich schnellen ihre Augen durch den Raum wie die eines kleinen Raubtieres, das die Umgebung auf mögliche Gefahren absucht. Für einen Moment zielt ihr Blick frontal auf den Spiegel, driftet weg, hakt sich nochmals ein, dreht sich wieder zum Fenster. Asche fällt auf die Tischplatte.
Kein Zweifel: Greta hat Angst.
17.58 h.
Wie begrüßt man seine Mutter nach siebzehn Jahren? Ein wortloser
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