An und für dich
WHITE-FEATHER-SACHEN AN DICH WEITER, DAMIT ES DICH SPÄTER NICHT KALT ERWISCHT. M
Kalt erwischt . Sollte das eine Anspielung sein? Das letzte Mal hatten sie sich an dem Nachmittag gesehen, als Saffy Marsh mit Mike auf der Bürotoilette erwischt hatte. War Marsh völlig ver rückt geworden? Wie kam sie auf die Idee, dass Saffy in dieser Situation ihre E-Mails abrufen würde? Sie ignorierte die SMS einfach.
Die nächste war sogar noch übler.
WHITE-FEATHER-VORPRODUKTION MORGEN UM 9 . FESTLEGUNG VON LOCATIONS UND BUDGET. KOM M BITTE. HÖCHSTENS 2 STUNDEN. M
Saffy hatte nicht die geringste Lust hinzugehen, aber nachdem sie eine Stunde lang den Infusionsbeutel und die Ährenleserinnen angestarrt hatte, fragte sie sich, ob sie sich das überhaupt leisten konnte. Nach der Sache mit Mike war Marsh bestimmt nicht gut auf sie zu sprechen, und sie wollte es nicht noch schlimmer machen.
Sie bat Greg, ihr aus der Wohnung eine Bluse, einen Hosenanzug und Schuhe mitzubringen, und er hatte ihr angeboten, schon morgens um sieben ins Krankenhaus zu kommen und Jill Gesellschaft zu leisten. Saffy war mittlerweile daran gewöhnt, sich auf der Personaltoilette frisch zu machen, aber heute duschte sie richtig und benutzte ein Trockenshampoo von Pamela, der blonden Krankenschwester. Sie war fast eine Woche nicht mehr Auto gefahren und fühlte sich unsicher und etwas leichtsinnig, als sie sich in die Rushhour stürzte. Als wäre sie diejenige, die krank gewesen war, als hätte sie sich noch nicht wieder richtig erholt.
Auf dem Poster an Ants Tür stand: Zu viele Freaks. Zu wenige Shows . Saffy hatte ein ungutes Gefühl. So war es immer vor großen Produktionen. Jeder hatte seine Meinung und wollte sie auch umgesetzt sehen. Vicky hatte einmal gesagt, dass bei einem Budget von siebenhunderttausend Euro selbst seine Heiligkeit der Dalai Lama zum Egoisten würde.
Die Mitarbeiter standen im Meetingraum herum. Saffy hatte sich so daran gewöhnt, nur von Nachthemden und Ärztekitteln umgeben zu sein, dass sie sich vorkam wie auf einem Kostümfest. Dort drüben standen Marsh als Femme fatale in einem marineblauen Kleid von Roland Mouret, der grauhaarige Ben Rosen als Hell’s Angel in Jeans und Bikerjacke und Simon als Geschäftsmann in einem Anzug, den er bestimmt extra für diesen Anlass gekauft hatte.
Ant sah in seiner schwarzen Latzhose aus wie ein schlecht gelauntes Baby. Und Vicky, ebenfalls in Schwarz, wie der Tod. Und dann war da noch Mike, der in Anzughose und kurzärmeligem Hemd aussah wie immer – wie ein Busfahrer, der gerade Pause macht. Er wurde so fürchterlich rot im Gesicht, als er Saffy entdeckte, dass sie Angst hatte, sein Kopf würde platzen.
Sie stellte sich Dylan Rick vor, Bens Assistenten, der mit seinem dunklen Anzug, der Brille und den Diamantohrringen im Baguetteschliff aussah wie ein sehr kleiner, asiatischer Clark Kent. Schließlich schüttelte Saffy noch Dermot dem Nervösen die Hand, der heute in beigefarbenem Sweatshirt und dazu passenden Chinos besonders hasenähnlich aussah. Sie hatte ihn noch nie so aufgeregt erlebt.
»Ich habe von der Sache mit Ihrer Mutter gehört«, sagte er. »Das muss sehr schlimm für Sie sein, so kurz nach dem Herzinfarkt Ihres Vaters. Wie geht’s ihm denn?«
»Er ist gestorben«, sagte Saffy leise. Marsh sah sie indigniert an, aber das war ihr egal. Es stimmte ja. Sie hatte nicht die Kraft weiterzulügen.
»Das tut mir leid.« Er drückte ihr die Hand. »Mein herzliches Beileid.«
»Danke. Das ist wirklich nett«, sagte Saffy. Und sie meinte es so.
Saffy tat, als würde sie Dylan zuhören, der mit ihnen den Drehplan durchging, aber eigentlich war sie gar nicht da. Neunzig Prozent ihrer Aufmerksamkeit waren die zweieinhalb Meilen zum Krankenhaus zurückgefahren, mit dem Fahrstuhl hinauf auf die Station ihrer Mutter, und hatten die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet. Jetzt saßen sie an ihrem Bett und versuchten, sie mit Gedankenkraft zum Aufwachen zu bringen.
Sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, was Dermot der Nervöse gerade gesagt hatte. Sie merkte nur, dass irgendetwas nicht stimmte, als Vicky ihr unter dem Tisch einen Fußtritt verpasste.
Dermot knabberte am Daumennagel. »Ich meine ja nur, dass wir weitersuchen müssen.«
»Jetzt seien wir mal realistisch, Dermot«, mischte sich Ben Rosen mit seiner Alphamännchen-Stimme ein. »Wir haben insgesamt fünf Castingrunden veranstaltet. Zwei in Dublin, zwei in London, eine in New York. Wir haben uns fast hundert Leute
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