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An und für dich

An und für dich

Titel: An und für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Griffin
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hatte, diese Information aufzunehmen, sagte Mr. Kenny: »Sie müssen jetzt eine Entscheidung treffen.« Er trug wie das letzte Mal eine Fliege, diesmal schwarz mit roten Punkten.
    »Die Entscheidung, ob Sie eine Lumpektomie oder eine Mastektomie durchführen lassen, also eine brusterhaltende Operation oder eine Brustamputation.« Aus seinem Mund klang es, als wäre beides toll. Fisch oder Huhn. Mit oder ohne Kohlensäure. Schwarz oder weiß.
    »Auf jeden Fall ist danach noch eine Chemotherapie und vielleicht Bestrahlungen notwendig. Wenn Sie Ihre Brust erhalten wollen, müssen Sie wissen, dass das Risiko für eine erneute Krebserkrankung bei zwölf Prozent liegt.«
    Saffy traute sich nicht, ihre Mutter anzusehen. Sie wollte nach ihrer Hand greifen, aber Jill hielt ihre Handtasche fest umklammert, als würde sie untergehen, sobald sie sie losließe.
    »Manchen Frauen ist ein zwölfprozentiges Risiko zu hoch. Sie lassen sich die Brust lieber gleich amputieren. Andere finden, achtundachtzig Prozent sind eine gute Chance, dass der Krebs nicht wiederkommt, und behalten ihre Brust. Falls der Krebs wiederkommt, lassen sie sie eben dann amputieren. Die Überlebensrate bleibt gleich.« Mr. Kenny spielte mit seinem Mont-Blanc-Kuli herum. »Es kommt also darauf an, was Ihnen lieber ist. Aber egal, wofür Sie sich entscheiden, ich möchte die Operation gern so schnell wie möglich vornehmen. Am Montag ist ein Termin frei geworden.«
    Lieber. Saffy krallte sich in die Armlehnen ihres Stuhls. Was Ihnen lieber ist. Seltsame Formulierung, wenn es darum ging, einen Teil aus einem lebenden Körper zu schneiden. Sie hielt den Atem an. Eine Schmeißfliege taumelte summend gegen das Schiebefenster. Im Büro nebenan telefonierte jemand. Draußen, hoch über dem samtig grünen Rasen eines Golfplatzes, kreuzten sich zwei Kondensstreifen am strahlend blauen Himmel.
    Nach einer Weile stand Jill auf und sagte sehr leise: »Bitte nehmen Sie sie mir ab.« Dann ging sie schwankend über den dicken, goldenen Teppich zur Tür. Saffy stand auf und wollte ihr nachgehen, aber Mr. Kenny schüttelte den Kopf. »Lassen Sie sie kurz allein. So was muss ja erst mal verdaut werden.«
    Er schob ihr eine Kleenex-Packung über den Tisch. Dann blickte er aus dem Fenster und sah zwei Golfern in heller Kleidung nach, die im Sonnenlicht den Rasen überquerten.
    »Ich habe da eine Frage«, sagte sie.
    Mr. Kenny seufzte. »Verständlicherweise. Es könnte erblich sein. Es könnte durch ihre Ernährung oder Alkohol, die Pille oder Pestizide hervorgerufen worden sein, oder vom Wasser, das sie getrunken hat, oder von ihrem Haarfärbemittel. Studien haben alle diese Faktoren und noch viele mehr als mögliche Gründe belegt. Aber die Antwort auf die Frage, warum Ihre Mutter an Brustkrebs erkrankt ist«, sagte er und schloss die Patientenakte, »lautet – wir wissen es nicht.«
    Saffy schickte Jill ins Bett, suchte Geschirr zusammen und kochte eine Kanne grünen Tee. Irgendwo hatte sie gelesen, der solle Krebs vorbeugen. Wobei es dafür, dachte sie, während sie den Teebeutel mit einem Löffel ausdrückte und zusah, wie sich das Wasser verfärbte, mittlerweile wohl zu spät war.
    Jill war gerade im Badezimmer, das sich an ihr Schlafzimmer anschloss. Saffy hatte dieses Zimmer Jahre zuvor das letzte Mal betreten, und seitdem war es offensichtlich renoviert worden. Der Teppich fehlte, und die Dielen waren abgeschliffen und neu lackiert. In der Mitte lag ein verblichener rosa Seidenläufer. Der Schrank mit den Schiebetüren war einem großen, weißen, französischen Kleiderschrank gewichen. Auf dem Bett stapelten sich Samtkissen, und auf dem Nachttisch standen Duftkerzen. Das hier war kein Schlafzimmer mehr. Es war eher etwas, das Klatschblätter als »Liebesnest« bezeichnet hätten.
    Jill hatte nie wirklich gut mit Frauen gekonnt. Sie hatte nur Bekannte, keine Freundinnen. Aber solange Saffy denken konnte, war im Hintergrund immer ein Freund herumgeschlichen. Keiner hatte jemals bei ihnen übernachtet, als sie noch dort wohnte. Um genau zu sein, hatte sie auch so gut wie keinen je gesehen. Sie waren ein Strauß Nelken auf dem Küchentisch, eine tiefe Stimme am Telefon, ein Auto, das vor der Tür wartete, während Jill Saffy an den Babysitter übergab. Wo steckte Len eigentlich?, fragte sich Saffy und stellte das Tablett ab. Wo waren die ganzen Frösche jetzt hin, da Jill sie brauchte?
    »Ich dusche gerade«, rief Jill durch die geschlossene Badezimmertür. Ihre Stimme

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