Analog 04
der Garderobe. Im ‘Purple Cat’ drüben in Easthampton. Im Dunkeln bin ich über ein Kabel gestolpert. Ich wußte, daß ich fallen würde, und habe noch versucht, sie unter mir hervorzuziehen. Die Bühne dort ist hüfthoch. Ihr Kopf war knapp über der Kante, und dann ist sie unter eine Monitor-Box eingeklemmt worden. Dann bin ich auf sie gefallen und …“ Ich schluchzte. „… und sie hat geschrien, und ich …“
Longdrink umschlang mich mit seinen dicken, langen Armen und drückte mich an sich. Ich vergrub mein Gesicht in seinem Hemd und weinte. Jemand anders umarmte uns beide von hinten. Als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, ließen mich beide los, und ich fand ein Glas in meiner Hand. Ich trank dankbar daraus.
„Ich frage dich das nicht gern, Jake“, brummte Callahan. „Ich fürchte, ich weiß die Antwort schon. Gibt es eine Möglichkeit, sie reparieren zu lassen?“
„Sag du es ihm, Eddie.“ Eddie aber war nicht da, sein Klavierschemel war leer. „Na gut, Mike, schau dir das an. Hier in Long Island gibt es vielleicht zehn Läden, die den Auftrag und mein Geld annehmen würden, und wahrscheinlich noch einmal so viele, die ehrlich genug wären abzulehnen. In dem gesamten Großbereich von New York gibt es vielleicht fünf echte Gitarrenbauer, und die würden mir alle raten, die Sache zu vergessen. In ganz Nordamerika sind vielleicht noch vier echte Meister am Leben, und ihre Rechnung würde eine vierstellige Zahl erreichen, vielleicht sogar eine fünfstellige, vorausgesetzt, sie wären der Meinung, sie könnten sie überhaupt noch retten.“ Noah Gonsalvez hatte seinen Hut abgenommen, weil er ihn herumgehen lassen wollte. Nun setzte er ihn wieder auf. „Sieh sie dir nur an. Solch ein Holz bekommt man einfach nicht mehr. Hals und Griffbrett sind Spezialanfertigungen, schmaler als normal, das bringt die Saiten enger zusammen – wenn ich mit einer normalen Gitarre spiele, habe ich das Gefühl, meine Finger sind eingelaufen. Ein nachgebauter Hals wäre also nicht so stark, und das Griffbrett müßte von Hand gemacht werden …“ Ich unterbrach mich. Ich trank mein Glas leer. „Mike, sie ist tot.“
Longdrink brach in Tränen aus. Callahan nickte und sah traurig aus und gab mir noch einen großen Drink. Er goß sich selbst etwas ein, und dann brachte er der Lady einen Trinkspruch aus. Als das Trommelfeuer zu Ende war, schenkte er Drinks für alle aus, und wir hielten für die Lady eine richtige irische Totenwache, die mit dem gebührenden Alkoholgenuß verbunden war, und das war genau das richtige für mich. Wir lachten und tanzten und erinnerten uns und erzählten uns Lügengeschichten und erfanden großartige Trinksprüche. Dabei fehlte nur noch Eddie am Klavier; er war verschwunden, und niemand wußte, wohin. Eine Totenwache für Lady Macbeth, aber ohne die Stimme ihres ehemaligen Kollegen, das war natürlich völlig ausgeschlossen, und so überraschte Callahan uns alle. Er setzte sich an das Klavier und produzierte durchaus ehrenwerten Boogie. Ich hatte nicht gewußt, daß er auch nur eine Note spielen konnte, und ich hätte geschworen, daß seine Finger zu dick seien, nur eine Taste zu treffen, aber er kam gut zurecht.
Als der Rauch sich dann schließlich lüftete, fuhr Pjotr uns alle in Dreiergruppen nach Hause – eine Aufgabe, die ich meinem Abgeordneten nicht an den Hals wünschen würde.
Ich glaube, die Sache mit Pjotr sollte ich wohl erklären …
Ein Laden wie Callahans Kneipe könnte unmöglich ohne die Mitarbeit aller Gäste laufen. Die Kneipe brauchte eine Menge freiwillige Helfer, um so funktionieren zu können, wie sie das tut.
Zum Teil liegt das auf der Hand. Wenn ein Barkeeper es den Gästen in seiner Kneipe erlaubt, ihre leeren Gläser in den Kamin zu werfen, dann müssen diese Verantwortungsgefühl genug besitzen, sich in dieser Tätigkeit eine gewisse Beschränkung aufzuerlegen – und außerdem müssen sie überdurchschnittlich genau zielen können. Vielleicht liegt das aber auch nicht auf der Hand, und deshalb sollte ich wohl erwähnen, daß auf beiden Seiten des Kamins ein Besen und eine Schaufel stehen, und wenn dann und wann eine Scherbe als Querschläger durch den Raum fliegt, dann finden wie von selbst Besen und Schaufel ihren Weg in die Hand der Person, die zufällig am nächsten steht, ohne daß das gesagt werden muß.
So ähnlich verhält es sich mit dem Parkplatz. Wenn man einen Parkplatz gern mag, in dem die Anarchie herrscht und die Autos kreuz und quer
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