Analog 1
Erde.
Danzigs Stimme kratzte in ihren Kopfhörern: „Nun, seid ihr zufrieden? Kommt ihr jetzt zurück, bevor euch eine neue Lawine erwischt?“
„Das wird nicht passieren“, erwiderte Scobie. „Wir sind kein hitzeausstrahlendes Fahrzeug. Die örtlichen Formationen sind offensichtlich über Jahrhunderte stabil geblieben. Davon abgesehen – was für einen Zweck soll eine bemannte Expedition haben, wenn keiner etwas erforscht?“
„Ich werde versuchen, ob ich dort hinaufklettern kann“, bot sich Garcilaso an.
„Nein, warte“, befahl Scobie. „Ich habe Erfahrung in Fels- und Eiskletterei. Vielleicht kann uns das hier nützlich sein. Ich will vorher eine Route für uns festlegen.“
„Ihr wollt da rauf? Alle zusammen?“ explodierte Danzig. „Habt ihr jetzt endgültig den Verstand verloren?“
Scobies Brauen und Lippen strafften sich. „Mark, ich warne dich noch einmal – wenn du dich nicht beherrschst, holen wir dich aus der Leitung. Wir werden weitergehen, wenn ich entscheide, daß es sicher genug ist.“
Er sprang leichtgewichtig hin und her, wobei er die geeignetste Stelle für den Aufstieg suchte. Schichten und Blöcke aus bestimmten Substanzen waren genau auszumachen und sahen aus wie die feinfugige Arbeit eines Elfenmaurers – dort, wo sie nicht so riesig waren, daß ein Riese sie hätte aufeinanderschichten müssen. Die kleinen Aushöhlungen schienen Wachhäuschen von Soldaten zu sein, als vorderste Linie eines Verteidigungssystems der Stadt …
Garcilaso, ein sonst so sprühend lebendiger Mann, stand bewegungslos da und verlor sich im Anblick dieser Szenerie. Broberg kniete nieder, um den Boden zu untersuchen, aber ihr Blick schweifte immer wieder die Eiswand hinauf.
Schließlich rief sie winkend: „Colin, komm einmal hierher, bitte. Ich glaube, ich habe eine Entdeckung gemacht.“
Scobie ging zu ihr. Bevor sie sich erhob, hob sie eine Handvoll feiner, schwarzer Teilchen von der Scholle, auf der sie stand, und ließ sie wieder von ihrem Handschuh rieseln. „Ich glaube, ich weiß jetzt, warum die Eisgrenze so übergangslos verläuft“, sagte sie zu ihm.
„Was ist?“ fragte Danzig dazwischen. Aber er bekam keine Antwort.
Broberg fuhr statt dessen fort. „Ich habe auf dem Weg hierher mehr und mehr Staub bemerkt. Wenn dieser auf gefrorene Klumpen oder kleinere Flächen, die von der Hauptmasse isoliert lagen, gefallen ist und sie vollständig bedeckt hat, so hätte dies Sonnenenergie absorbiert. Als Folge wären diese Klumpen geschmolzen oder richtiger, in einen gasartigen Zustand übergegangen. Denn bei dieser geringen Schwerkraft könnten selbst Wassermoleküle in das All entweichen. Dieser Prozeß kann auf die kompakte Eismasse nicht einwirken. Die Staubkörner könnten nur ein kleines Stück durch das Eis hindurchschmelzen, und zwar so lange, bis sie von abbrechenden Teilen verschüttet würden. Somit wäre der Auflösungsprozeß unterbrochen.“
„Hmmm“, Scobie hob eine Hand, um sich damit sein Kinn zu massieren, stieß jedoch nur gegen seinen Helm. Er mußte über sich grinsen. „Klingt vernünftig. Aber wo ist dieser ganze Staub nur hergekommen – und auch das Eis?“
„Ich glaube …“ Ihre Stimme wurde leiser. Schließlich konnte er sie kaum noch verstehen. Ihr Blick traf sich mit dem von Garcilaso. Seine Augen blieben unverwandt auf ihr Profil gerichtet, das sich gegen die Sterne im Hintergrund abhob. „Ich glaube, das untermauert deine Kometenhypothese, Colin. Ein Komet ist gegen Japetus geprallt. Dieser kam von seiner Bahn ab. Als er sich zu sehr dem Saturn näherte, zwang dessen starke Anziehungskraft ihn zu einer scharfen Richtungsänderung um den Planeten. Es muß ein phantastisches Schauspiel gewesen sein. Obwohl das meiste Eis bereits verdampft und verlorengegangen war, bedeckte es noch fast eine Halbkugel. Der Staub ist zum Teil von Iapetus selbst, zum Teil auch durch den Aufprall erzeugt worden.“
Er klopfte anerkennend auf ihre armierte Schulter. „Das ist deine Theorie, Jean. Ich war nicht der erste, der hier einen Kometen am Werk vermutete. Aber du warst die erste, die diese Annahme durch Beweise erhärten konnte.“
Sie schien gar nicht hinzuhören, denn sie murmelte weiter: „Staub kann auch die Erosionen, die diese phantastischen Formen gebildet haben, erklären. Dieser Staub verursacht verschiedene Schmelz- und Verdampfungsprozesse auf der Oberfläche, je nachdem, wie er sich auf ihr verteilt oder sich mit dem Eis vermischt hat, bis er
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