Analog 1
wütend: „Dieses Spiel sollte auf ewig verdammt sein!“ Aber seine Stimme verhallte in der Leere.
3
Ein Psychodrama, selbst in seiner übersteigerten Form, zu verdammen, würde bedeuten, die menschliche Natur zu verdammen. Es beginnt in der Kindheit. Das Spiel ist für alle noch nicht voll entwickelten Säugetiere äußerst notwendig. Es ist ein Mittel für die Ausbildung des Körpers, der Wahrnehmungsorgane und der Erfahrung der Außenwelt. Kinder spielen, ja müssen auch mit ihren geistigen Möglichkeiten spielen. Je intelligenter das Kind ist, desto stärker muß es sich in seiner Vorstellungskraft üben. Es gibt in dieser Hinsicht verschiedene Stufen der Aktivität. Sie geht von dem passiven Anschauen einer Show auf dem Bildschirm aufwärts über Lesen, Tagträumen, Geschichtenerzählen bis zum Psychodrama … für das ein Kind noch keine derart exklusive Bezeichnung hat.
Wir können jedoch diesem Verhalten keinen einzelnen Ausdruck zuschreiben, denn es hängt in Form und Verlauf ab von einer endlosen Anzahl von veränderlichen Möglichkeiten. Geschlecht, Alter, Milieu und persönlicher Umgang sind hier nur die augenfälligsten Faktoren. Im vorelektronischen Nordamerika zum Beispiel spielten kleine Mädchen oft „Mutter und Kind“, während die Jungen oft „Cowboy und Indianer“ oder „Räuber und Gendarm“ spielten. Heutzutage spielen deren Abkömmlinge in gemischten Gruppen Spiele wie „Delphin“ oder „Astronaut und Extraterrestrier“. In allen Fällen bilden sich bei solchen Spielen kleine Gruppen, wobei jede einzelne Person in eine Rolle schlüpft, die aus der Vorstellung stammt. Dabei werden oft einfache Requisiten verwandt wie zum Beispiel Spielzeugwaffen oder ein mehr oder weniger zufällig aufgegriffener Gegenstand – etwa ein Stock –, der dann als etwas anderes angenommen wird, zum Beispiel als Metalldetektor. Aber oft existieren selbst diese einfachen Requisiten nur in der Vorstellung, und dies gilt in den meisten Fällen auch für die gesamte Szenerie. Dann spielen die Kinder eine Art Theaterstück, das erst beim Spielen entsteht. Wenn eine Handlung physisch nicht ausgeführt werden kann, wird sie beschrieben. („Ich springe jetzt so hoch, wie man auf dem Mars springen kann, fliege über diesen Kraterrand und überrasche den Banditen.“) Eine große Anzahl verschiedener Charaktere, besonders Bösewichte, tauchen in dem Spiel auf, hauptsächlich infolge einer einfachen Erklärung.
Derjenige mit der größten Vorstellungskraft dominiert in dem Spiel und entscheidet über dessen Fortgang. Jedoch tut er dies auf eine sehr subtile Art und Weise. Er bietet die lebendigsten, buntesten Möglichkeiten an. Die anderen sind allerdings ebenfalls intelligenter als der Durchschnitt. Ein Psychodrama in dieser entwickelten Form ist nicht jedermanns Geschmack.
Diejenigen, die daran Geschmack finden, ziehen großen und lang andauernden Nutzen aus diesen Spielen. Ganz davon abgesehen, daß Kreativität dadurch entfaltet wird, werden durch das Spiel auch vorläufige Rollenerfahrungen gemacht. Die Kinder fangen an, einen Einblick in die Erwachsenenwelt zu gewinnen.
Diese Art der Rollenspiele endet spätestens im jugendlichen Alter – aber auch nur in dieser Form und nicht notwendigerweise endgültig. Erwachsene pflegen oft eine Art von Traum-Spielen.
An den Anredeformen, Aufmachungen und Zeremonien innerhalb von Logen und Geheimverbindungen läßt sich dies gut beobachten. Liegt diese Tatsache nicht allen Festspielen und Ritualen zugrunde? Inwieweit kann man all unsere Tapferkeit, unseren Opfermut oder unsere Selbsterhöhung und das Vermögen, über uns selbst hinauszuwachsen, auf den Wunsch zurückführen, in eine andere Rolle zu schlüpfen? Einige Denker haben versucht, alle Seiten der Gesellschaft auf diesen Aspekt hin zu untersuchen.
Wir wollen uns hier jedoch mit den unter Erwachsenen bewußt gespielten Psychodramen beschäftigen. In der westlichen Zivilisation werden diese Spiele seit der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in feststellbarem Ausmaß gepflegt. Psychiater erkannten in ihnen die außerordentlich wirksamen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Aber auch unter den einfacheren Leuten fanden Kriegs- oder Phantasiespiele, in denen sich die Darsteller mit erdachten oder historischen Persönlichkeiten identifizieren konnten, wachsende Beliebtheit. Zweifellos war dies zum Teil als Abkehr von den Beschränkungen und Bedrohungen des unglücklichen Zeitalters zu
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