Anansi Boys
m onte, blieb stehen und zeigte in die Richtung. Fat Charlie ging in Mrs. Dunwiddys Schlafzimmer.
Es war kein großes Bett, a b er Mrs. Dunwiddy lag darin wie eine überdi m ensionierte Puppe. Sie hatte ihre Brille auf , un d darübe r etw a s , da s Fa t Charli e al s di e erst e Nachtmü t z e i d e n tifizie rt e , d i e e r i n s e i ne m Le b e n z u s e he n be k am, ei n e scho n etwa s v e rgilbt e An g e le g e n h ei t mi t d e r A u sstrah lung eines Teewärrners, allerd i ngs m it Spitzen besetzt. Sie saß, den Mund off e n, gegen einen Berg von Kiss e n gelehnt und schnarchte leise, als er das Zimmer betrat.
Er hüstelte diskret.
Mrs . Dunwiddy s Kop f zuckt e hoch , si e schlu g di e Augen au f un d starrt e ih n an . Si e zeigt e au f d e n Nachttisc h neben de m Bet t , wo r a u f F a t C h arl i e da s G l a s mi t Was s e r a u fna h m, das dort stand, und es ihr reich t e. Sie hielt es m it beiden änden, wie ein Eichhörnchen eine Nuss hält, und nahm einen ausgiebigen Schluck, b e vor sie es ihm zurückgab.
»Mein Mund wird i mmer so trocken«, sagte sie. »Weißt du, wie alt ich bin?«
»Ähm.« Es gab darauf, das war wohl kl a r , keine ri c h tige Antwort. »Nein.«
»Hunnertvier.«
»Das ist erstaunlich. Sie s i nd noch so f i t. Ich mein, das ist wirklich unglaub l ich …«
»Halt den Mund, Fat Charlie.«
»‘tschu l d i gung.«
»Und brauchst auch nicht ›Entschuld i gung‹ zu sagen, wie ein Hund, der ausgeschimpft wird, weil er auf den Küchenboden gemacht hat. Heb den Kopf hoch. Guck der Welt in die Augen. Hörst du?«
»Ja. ‘tschuldigung. Ich mein, ist gut.«
Sie seufz t e. »D i e wollen m i ch ins Krankenhaus br i ngen. Ich sag ihnen, wenn man hunnertvier geworden ist, sag ich, dann hat man sich das Recht e r worben, in seinem eigenen Bett zu sterben. Ich hab Babys gemacht in diesem Bett, ist schon lange her, und ich hab Babys geboren in diesem Bett, und es fällt m i r überhaupt nicht ein, irgendwo anders zu sterben. Und noch was …« Sie hielt inne, m achte die Augen zu, holte langsam und tief Luft. Gerade als Fat Charlie zu der Überzeugung g e langt war, sie sei eingeschlafen, öffneten die Augen sich wieder, und s i e sagte:
»Fat Charlie, wenn dich mal jemand fragt, ob du hundertvier Jahre alt werden willst, s a g nein. Tut alles we h . Alles. Bei m ir tut’s an Stellen weh, die sind noch gar ni c h t entdeckt worden.«
»Ich werde es mir merken.«
»Keine Widerrede jetzt.«
Fat Charlie sah die kleine Frau in ihrem weißen Holzbett an. »Soll ich m ich entschuldigen?«, fragte er.
Mrs. Dunwiddy sah schuldbew u sst zur Seite. »Ich hab dir unrecht getan«, sagte sie. »Vor langer Zeit, da hab ich dir unrecht getan.«
»Ich weiß«, sagte Fat Charlie.
Mrs. Dunwiddy m o chte im Sterben liegen, aber sie war noch immer i m stande, Fat Cha r lie einen Blick zuz u werfe n , der jedes Kind unt e r fünf veranlassen würde, nach seiner Mutter zu schreien. » Was soll das heißen, du weißt?«
Fat Charl i e sagte: »Ich h a be es m ir zusammengerei m t. Wahrscheinlich nicht alles, aber einiges. Ich bin nicht dumm.«
Durch ihre dicken Brillengläser m u sterte sie ihn kalt, dann sagte sie: »Nein. Du nicht. Das ist wahr.«
Sie streckte ihre knotige H a nd aus. »Gib m ir noch m a l das Glas.« Sie trank, nahm das Wasser m it ihrer kleinen, purpurroten Zunge auf. »Gut, dass du heute hier b i st. Morgen ist das ganze Haus voll m it jammernden Enkelkindern und Urenkelkindern, die m ich überreden wollen, dass ich ins Krankenhaus geh zum Sterben. Und lieb Kind versuchen sie s i ch zu machen, d a m it ich ihnen Sachen schenke. Aber die kennen m ich nicht. Hab alle meine Kinder überlebt. Alle m iteinander.«
Fat Charlie sagte: »Wollen S i e darüber reden, was Sie da ma ls mit m ir gemacht haben?«
»Du hättest meine Spiegelku g el im Garten nicht kaputt machen sollen.«
»Sicherlich nicht.«
Er erinnerte sich, so wie m a n s ich halt an Ereignisse aus der Kindheit erinnert: Man k a nn nicht me hr unterscheiden,
was echte Erinnerung und was bloße Erinnerung a n die Erinnerung ist. Er erinnerte sich, wie er dem Tennisball bis in Mrs. Dunwiddys Garten gef o lgt war, und dann, wo er schon einmal da war, probeweise ihre Spiegelkugel in die Hand genommen hatte, um sein Gesicht darin zu sehen, riesig und verzerrt; wie sie ihm dann entglitten war und er m it angesehen hatte, wie sie in tausend winzige Scherben zersprang. Er erinn e rte sich an die kräft i gen
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