Anansi Boys
sich an ihn und starr t e auf sein Gesicht, das vom Licht der entgegenkommenden Autos und der S t raßenla m pen beleuchtet wurde.
»Du hast ein gepierctes Ohr«, sagte sie. »Wieso hab ich das vorher noch nie be me rkt?«
»Hey«, sagte er lächelnd, die Stimme im t i efsten Bassregister, »was glaubst du wohl, wie ich m ich da fühle, wenn du solche Sachen nicht be me rkst, obwohl w i r schon, na, w i e la n g e zusa m men sind?«
»Achtzehn Monate«, sagte Ros i e.
»Achtzehn Monate lang«, sagte ihr Verlobter.
Sie sch m iegte sich noch enger an ihn, at me te ihn ein.
»Ich liebe deinen Geruch«, s a gte sie. »Hast du Parfüm aufgelegt?«
»Das bin einfach ich«, erklärte er.
»Also, du solltest dich in Flaschen abfüllen.«
Sie bezahlte das Taxi, während er die Haustür aufschloss. S i e stiegen die Treppe ge me insam hinauf. Als sie oben angelangt waren, schien er mer k würdigerweise das Gästezimmer am hinteren Ende des Flurs ansteuern zu wollen.
»Na, weißt du«, sagte sie, »das Schlafzimmer ist doch hier, D u mmchen. Wo willst du denn hin?«
»Nirgends. Das wusste ich«, sagte er. Sie gingen i n Fat Charlies Schlafz i m m er. Sie zog die Vorhänge zu. Dann sah sie ihn einfach nur an und war glücklich.
»Nun denn«, sagte sie nach e i ner Weile, »willst du nicht versuchen m i ch zu küssen?«
»Ich denke schon«, sagte er, und er ta t es. Die Zeit sch m olz zusammen, dehnte sich aus und krüm m te sich. Sie m o chte ihn eine Sekunde, eine Stunde oder auch ein ganzes Leben lang geküsst haben. Und dann …
»Was war das?«
Er sagte: »Ich hab nichts gehört.«
»Es klang, als habe jemand große Schmerzen.«
»Kä m pfende Katzen vielleicht?«
»Es klang mehr wie ein Mensch.«
»Kann ein Stadtfuchs gewesen sein. Die klingen manchmal ganz schön ä hnlich wie ein Mensch.«
Sie stand, den Kopf zur Seite geneigt, da und lauschte angestrengt. »Jetzt hat es a u fgehört«, sagte sie. »Hm m . Willst du wissen, was wirklich seltsam ist?«
»Uh-hnh«, sagte er, seine Lipp e n jetzt an ihren Hals gedrückt. »Klar, erzähl m ir, w a s wirklich seltsam ist. Aber ich hab es verscheucht. Es wird dich nicht weiter belästigen.«
»Richtig seltsam ist « , sagte Rosie, »dass es nach dir geklungen hat.«
—————
FAT CHARLIE l i ef durch die Strassen, versuchte klare Gedanken zu fassen. Am nah e liegendsten wäre es wohl gewesen, an seine eigene Haustür zu k l opfen, bis Spider hinunterkam und ihn einließ, und dann ih m , Spider, und Rosie krä f tig die Meinung zu geigen. Es lag nahe, das zu tun. Geradezu aufdr i nglich nahe.
Er m ü sste nur zu seiner e i genen Wohnung zurückgehen, Rosie die ganze Sache erklären und Spider so sehr beschämen, dass dieser freiwill i g das Feld r ä u m te. Das war wirklich alles, was er tun musste. Was sollte daran so schwer sein?
Es war schwerer, a l s man de n k en würde, das stand fest. Er wusste nicht genau, warum er sich eigentlich von seiner Wohnung entfernt hatte. Noch weniger wusste er, wie er den Weg zurück finden sollte. S t raßen, die er kannte – oder zu kennen glaubte, schienen seit Neuestem einen ganz anderen Ve r lauf zu ne h m en. Unversehens fand er sich in Sackgassen wieder, lief unen d liche Umwege und stolperte durch ein seltsam unvertrautes Gewirr von nächtlichen Wohnstr a ß en.
Manc h mal erblickte er die Ha u p tstraße. Zu erkennen an den A m peln und d e r Beleuchtung der Schnellrestaurants. Wenn er erst einmal auf der Haupts t raße war, dann würde er den Weg nach Hause ohne Weiteres finden, aber jedes Mal, wenn er auf diese Hauptstraße zusteuerte, l a n d ete er irgendwo anders.
Fat Charlies Füße begann e n wehzutun. Sein Magen knurrte h e ftig. Er war wütend, und je länger er ging, desto wütender wurde er.
Die Wut machte den Kopf klar. Das Spinnenne tz , das seine Gedanken u m fing, löste sich langsam auf; das Netz der Straßen, durch d i e er li e f, wurde weniger undurchdringlich. Er bog um eine Ecke und stand plötzlich auf der Hauptstraße, gleich neben einem rund um die Uhr geöffneten »New Jersey Fried Chicken«. Er bestellte sich eine Fa m ilienpackung Backhuhn, se tz te sich an einen Tisch und aß alles auf, ohne j ede Hil f e irgendwelcher Fa m i lienangehörigen. Als das erledigt war, stellte er sich auf den Bürgersteig und wartete, bis d a s freundlich leuch t ende orange Licht eines großen schwarzen und vor al l e m freien Taxis in Sicht ka m , dem er unverzüglich winkte. Es
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