Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
Vom Netzwerk:
Grund und Boden. Ohne Profisport konnten wir auskommen, aber unter den Amateuren waren wir die Kings.
    Mit Unterricht hatte der Trainer nichts am Hut, er hatte keinen Bock, das Klassenbuch zu führen, Programme auszuarbeiten und für jeden Schuljahresabschnitt einen Plan zu machen, zum Unterricht erschien er mit einem Ball (einem aus Leder, einem richtigen Lederball!), den warf er uns hin wie einem Straßenköter ein Stück rohes Fleisch, und wir droschen den Ball über den ausgetretenen Platz, knallten ihn dabei in die Schulfenster im Erdgeschoß, rissen uns gegenseitig die Dresse vom Leib und schossen ihn – diesen Ball – in den endlosen Sonnenhimmel der Achtziger. Der Schuldirektorin war der Trainer nicht geheuer, und sie ließ ihn in Ruhe, er war Anwärter auf den Titel »Meister des Sports«, die Kreisoberen schätzten ihn, weil er die erste Stadtmannschaft so gut es ging unter seine Fittiche genommen hatte, außerdem war der Trainer ständig blau und gab nicht viel auf Ordnung und Disziplin, die Direktorin seufzte bloß nachdenklich und ließ den Werklehrer eine neue Scheibe einsetzen. Der Trainer hatte seine eigene Vorstellung von Lernerfolgen und Lehrplänen, er ließ uns gegen alle umliegenden Schulen antreten, wir gewannen, nach dem Sieg kam er mit einer Tasche voll Sportabzeichen »Bereit zur Arbeit und Verteidigung der Heimat« in Silber und Bronze zum Unterricht und verteilte sie an uns anstelle von Noten. Wir waren genauso abgedreht wie er und steckten uns diese Abzeichen auch noch an, nicht daß sie uns viel bedeutet hätten, sie waren für uns wie Sterne von einem abgeschossenen Flugzeug. Ich erinnere mich, daß ich zeitweise zehn solcher Sportabzeichen an meiner Schuluniform trug. Dann hatte ich genug davon und schmiß sie weg. Die Uniform übrigens auch.
    Nach und nach führte uns der Trainer in die Herrenmannschaft ein, außer ihm spielten dort noch einige ernstzunehmende Fußballer aus dem örtlichen Verein, seine Outsiderkumpels, das war eigentlich gegen die Regeln, sie hätten nicht für unsere Amateurmannschaft spielen dürfen, aber wen kratzte das. Unsere fuhren mit dem Bus zu Auswärtsspielen in irgendwelche Kolchosenstadien, wo sie arme Traktorfahrer platt machten, die verzweifelt versuchten, gegen unsere anzukommen, nicht mal die Knochen konnten sie ihnen brechen, statt dessen brachen sie sich ihre eigenen. Unsere führten meist haushoch, so daß der Trainer gegen Spielende sogar uns Junge bringen konnte, gegen uns gaben die Traktorfahrer das Letzte, aber die verbleibende Zeit reichte nicht, um das Resultat zu verbessern, wir hatten gewonnen und fühlten unseren unmittelbaren Anteil am Gesamterfolg. Die erwachsenen Männer konnten sich nicht beherrschen, sie sahen uns haßerfüllt an und konnten es nicht fassen, warum gerade wir gewonnen hatten, das war etwas Größeres als Sport, der Trainer kam und holte uns vom Platz, los, sagte er, hier habt ihr nichts verloren, bei diesen Knochenbrechern. Wir stiegen in den Bus, der kurz darauf vom Gestank nach nassen Stutzen, durchgeschwitzten Trikots, dem Geruch von Haut und Alkoholausdünstungen erfüllt war, Fußball roch bei uns immer nach Schnaps, der Trainer hatte die Kasse – die Gewerkschaften zahlten jedem Spielteilnehmer so um die drei Sowjetrubel, das war schon ein nettes Sümmchen; der Trainer setzte möglichst viele von uns auf die Liste, denn für jeden gab es, unabhängig vom Spielbeitrag, gemäß dem gerechten sowjetischen Verteilungssystem auch die drei Rubel, das Geld zahlte der Trainer natürlich nicht aus, er nahm die gesamte Summe und kaufte zwei Eimer Selbstgebrannten, sechs Liter hochexplosiven Rachenkiller, den er verteilte und den wir noch im Bus zusammen mit unseren älteren Ballkollegen weghauten, mit den Legionären vom Ortsverein und unserem Trainer und Lehrer.
    Wir wankten nach Hause, aber nicht einmal in diesem Zustand hatten wir was zu befürchten, unsere Erzeuger hatten nichts zu melden, schließlich machten wir Sport und waren auch noch richtig erfolgreich. Irgendwann war uns alles scheißegal – Schule, Kino, Fernsehen, Eltern und Familie, sogar Sex war uns scheißegal, bis dato hatten wir eigentlich noch gar keinen gehabt, und jetzt war er uns scheißegal, jeden Tag rannten wir bis zur Verblödung, bis uns schwarz wurde vor Augen, bis zur Trance, bis zum Abwinken dieser Lederkugel hinterher. Wir trampelten unseren Platz runter, bis nur noch schwarzer, trockener Staub übrig war, die Stollen an unseren

Weitere Kostenlose Bücher