Anarchy in the UKR
Fußballschuhen waren runter, unsere Trikots voller Schweißflecken, so daß man die Nummern nicht mehr erkennen konnte, aber wir wußten alle Nummern auswendig, und das war in dem Moment das wichtigste Wissen überhaupt. Das konnte nicht ewig so weitergehen.
Irgendwann bat der Trainer einige von uns, für eine der Werkmannschaften zu spielen, und versprach, daß außer uns noch ein paar von seinen Legionärsfreunden kämen. Wir waren einverstanden. Von den Legionären kam nur ein einziger. Es wurde eine wirklich starke gegnerische Mannschaft aufgestellt. Sie machten uns einfach platt. Ich stand im Tor, bis zum Ende des Spiels hatten sie mich fast umgebracht. Zu guter Letzt war der Legionär auch noch sauer auf uns, Kumpels, sagte er, ihr habt’s nicht drauf. Wir gingen nach Hause und versuchten einander nicht anzusehen. So mies hatte ich mich noch nie gefühlt. Danach war meine Liebe zum Trainer etwas abgekühlt.
Aber das war nicht die Hauptsache. Wißt ihr, was mit ihm passiert ist? Kaum zu fassen. Schon als ich die Schule verließ, spielte er kaum noch. Er fickte die Reinemachefrau von unserer Schule. Ehrenwort. Direkt auf den Matten in der Turnhalle. Zusammen mit dem Werklehrer (natürlich fickte er nicht den Werklehrer, sondern sie beide zusammen die Reinemachefrau). Sie gingen zusammen zur Prophylaxe gegen Geschlechtskrankheiten und wurden zusammen gefeuert. Ich denke, das hat ihn nicht so wahnsinnig gekratzt; was mit der Reinemachefrau war, keine Ahnung, aber für ihn war das wohl kein großes Ding, er machte sein Ding auf dem Platz, schickte uns auf das harte, stachelige Spielfeld zerfallener Stadien und zog uns hinter sich her in unsere Zukunft, er gab uns zum ersten Mal in unserem Leben das Gefühl, Sieger zu sein; dieses irre Gefühl, wenn der Ball im Tor ist, auch wenn du noch nichts in deinem Leben gesehen hast – im Gegensatz zum Trainer weißt du ja noch nicht, wie gemein und undankbar dieses Leben sein kann –, weißt du aber immerhin, was nötig ist, um es – dieses Leben – von vorn bis hinten durchzuficken, ihm zuzuwinken, soweit die Kraft reicht – du kommst über die Flügel, spielst ihren Rechtsverteidiger aus, schmeißt dich in den Strafraum und haust das Ding am Torwart vorbei in den Dreiangel!
Würde ich übrigens bei Gelegenheit mal ausprobieren.
1987 Post.
Die Poststelle löste bei mir Nervenzusammenbrüche aus. Ich war schon ziemlich selbständig in meinen Äußerungen und meinem Verhalten, erlaubte mir eine eigene Meinung, und ich hatte ein Hobby. Ich war Fußballfan. Ich schrieb mich mit Dutzenden ebenso unausgegorener Typen, die sich für Fußballfans hielten und deren Adressen ich in der Zeitung gefunden hatte. Sicher wollt ihr wissen, was sich Fußballfans wohl so schreiben. Das wußte ich am Anfang auch nicht, meinen ersten Brief schickte ich mehr aus Protest ab, und auf einmal hatte ich eine Antwort im Kasten. Mir öffnete sich die merkwürdige, abgedrehte Welt der Fußballfans. Ein Fußballfan sammelte allen möglichen Scheiß – Spielprogramme, Vereinswimpel, Handbücher, Abzeichen, Kalender, anderen Schreibwarenschrott – die Gesamtmenge bestimmte den Grad des Fanseins, es gab eine richtige Dealerkaste, die den ganzen Mist aufkaufte und dreimal so teuer an Downies wie mich weiter verkloppte und dabei die Tatsache, daß, sagen wir mal, ich mir diese Programme und Wimpel nicht selbst beschaffen konnte, schamlos ausnutzte. Ich war gerne Fan, ich spürte, wie mein Leben mit jedem neuen Wimpel und jedem neuen Abzeichen an Wert und innerer Erfüllung gewann. Sehr schnell nahm meine Leidenschaft bedrohliche Formen an. Den Morgen brachte ich mit irgendeiner Beschäftigung rum, schlug die verdammte Zeit tot und wartete, bis der Briefträger kam. Er kam am Nachmittag um vier. Wenn er keinen Brief hatte, war der Tag hoffnungslos im Arsch, ich versuchte, meine Enttäuschung runterzuschlucken, indem ich meine bereits erhaltenen Wimpel und Programme ordnete, sie sorgfältig von einem Stapel auf einen anderen legte, sie abstaubte und auf den nächsten Tag wartete. Am nächsten Tag wieder nichts. Ich war mit den Nerven am Ende und wurde wütend. Wenn auch am dritten Tag kein Brief kam, ging ich zur Post. Dort kannten sie mich schon. Ich merkte mir, wann die neuen Zeitungen und Briefe kamen, wie lange sie geordnet und sortiert wurden, wann unser Briefträger losging, wie schnell er auf seinem Fahrrad die umliegenden Straßen abfuhr und wann er an unserem Briefkasten zu erwarten war.
Weitere Kostenlose Bücher