Anarchy in the UKR
verläßt, dann geht alles klar.
Auf den Fluren der Macht gehen gewöhnlich Menschen, die sich ihrer selbst sicher sind, die Notwendigkeit, jeden Tag die pathetischen, mit billigen Teppichen ausgelegten Flure abzuschreiten, stählt sie, sie denken sich – ach, wie gut, wie folgerichtig alles gekommen ist: die Macht, über die Zeitungen und Fernsehen berichten, die Macht, für die gekämpft und gestorben wird, liegt zur selben Zeit in den angrenzenden Büros, hier, hinter diesen Türen, die ich, einer von wenigen, einfach öffnen kann. Die Flure der Macht rufen bei den Besuchern ein krankhaftes Gefühl von Eifersucht hervor, meine Freunde und ich sind einmal in die dortige Kantine vorgedrungen, wir waren siebzehn und hatten uns als Kuriere ausgegeben, wir haben uns in die für die damaligen Zeiten recht mondäne und vor allem billige Ex-Partei-Kantine geschlichen, für die meisten Besucher strahlen diese Flure den sakralen Geist der Unterordnung unter die Verwaltung und der Abhängigkeit vom Staatshaushalt aus. Der Staatshaushalt zerfrißt wie ein Pilz die Haut zwischen den Fingern der Staatsbürger, läßt sie nervös werden und vor den Beamten in Tränen ausbrechen, die ihrerseits den Besuchern reglos in die Augen schauen und ihre Hände unter dem Tisch verbergen. Sie sind alle miteinander verbunden, halten sich alle aneinander fest, sie brauchen das Spiel mit der Machtvertikale, mit den Nachtragshaushalten und kommunalen Dienstleistungen – die Besucher brauchen das Gefühl des Systems, der Hand an ihrer Kehle, für sie ist es immer angenehmer, sich in einer öffentlichen Toilette im Beisein von anderen zu erleichtern, dadurch funktioniert ihr Magen besser, die Beamten müssen ihrerseits jeden Tag etwas für die Belebung der Magensäfte der Wählerschaft tun, sie an das Nervensystem anschließen, die Beamten graben wie wilde Nagetiere ihre kilometerlangen Gänge in das sonnige Gelände der materiellen Absicherung und Sozialleistungen, du mußt genau hinsehen, hinter deinem Rücken steht immer ein Beamter und wartet nur auf den passenden Moment, um dir in die Tasche zu greifen und alle Mandeln und Pistazien und Briefkastenschlüssel, sämtliche Kondome und Visitenkarten deiner Dealer herauszuziehen, all das, was du monatelang in deinen unergründlichen und ungeschützten Manteltaschen mit dir herumschleppst, der Beamte kann alles gebrauchen, seine Rattennatur will nicht so sehr die materielle Entschädigung für seine Non-stop-Jagd auf deine Taschen als vielmehr eine moralische Befriedigung, der Beamte will dir dein Innenleben entreißen wie einem Fisch die Gedärme, entreißen und Informationen und Formulare, Verordnungen und Bescheinigungen, Pressemitteilungen und Telefonrechnungen auf einen Haufen schmeißen wie Salatblätter, damit du versuchst, das alles zu vergiften, und daran scheiterst, auf den Fluren der Macht an Darmverschlingung verreckend.
Oft treten sie aus demselben Hauseingang, um acht Uhr morgens, sie wohnen Tür an Tür, die ganze Entfremdung der Herrschenden von der Bevölkerung, sie ist eine Illusion, sie verschwindet, sobald der achtstündige Arbeitstag des Beamten zu Ende geht und der Besucher wieder nach draußen tritt, hier haben beide die gleichen Bedingungen, sie müssen nicht diese kindischen Spiele spielen, das Leben ist grausam zu den Beamten, es schlägt sie gegen die Hauswände wie Rohrstöcke, quetscht sie mit den Fingernägeln auf dem Parkett breit, zu den Besuchern ist das Leben übrigens. auch nicht gerade loyal, seine Beziehungen zu den Besuchern sind vielleicht sogar schlimmer – die Besucher finden nirgends Schutz vor dem Leben, nicht einmal auf den Fluren der Macht, schlimmer noch – hier suchen sie erst gar keinen Schutz, sondern beschränken sich auf die üblichen Fragen nach der materiellen Versorgung und den Sozialleistungen.
Oft, wenn ich durch das Gebäude gehe, denke ich – komisch, jetzt gehe ich durch die Flure der Macht, die Flure erstrecken sich von West nach Ost, auf jeder Etage, vom rechten Flügel in den linken, und während ich die Straße entlanggehe und einen weiteren Versuch mache, nach Hause zu kommen, geht jemand neben mir, in vielleicht vierzig, fünfzig Meter Abstand, er geht sozusagen parallel zu mir die Flure der Macht entlang, macht Karriere und versucht, an das andere Ende des Flures zu kommen. Wenn man sich allerdings überlegt, was denjenigen dort erwartet, am Ende des Korridors – eine finstere Ecke, ein leeres Zimmer, chlorgereinigt, ein
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