Anarchy in the UKR
Freund, kennst du ihn? Ja, sagte sie, ein Vollidiot. Insgeheim stimmte ich ihr zu. Findest du die Musik gut? fragte sie wieder. Ja, sagte ich, aber wenn du willst, kann ich was anderes auflegen. Mir egal, sagte sie. Hast du Wein? Ja, aber keinen guten. Hast du überhaupt was Gutes?
Das ist Sticky Fingers, sagte ich zu ihr, als der Wein schon alle war; hör ich immer, wenn ich gut drauf bin, ich muß immer heulen dabei. Hm, sagte sie, sieht dir ähnlich. Du hast so eine Stimme, sagte sie zu mir, als ich zum ersten Mal gehört habe, wie du sprichst, hab ich gedacht, aber sei nicht gleich sauer, du bist ein Downie. Das kommt von der Erkältung, sagte ich, ich bin einfach erkältet. Willst du noch Wein? Sie nickte.
Nach der zweiten Flasche wurde ihr schlecht, sie war schnell betrunken geworden und schwieg die ganze Zeit, dann sagte sie – mir ist schlecht, ich brachte sie ins Bad und drehte die Sticky-Fingers-Platte um. Nach einer halben Stunde fand ich sie in der Wanne, sie duschte, war naß und total am Ende und ließ sich küssen.
Sie hatte weiße Kinderunterwäsche an. Lange durfte ich ihr nichts ausziehen, aber sie ließ mich keine Sekunde von sich weg, nicht mal, um die Platte umzudrehen. Komm bloß nicht in mir drin, bat sie dann. Aber hallo, sagte ich, bei der Musik komme ich überhaupt nicht, wer kommt schon bei Der Mond ist aufgegangen . Idiot, sagte sie. Und krall dich nicht an meinen Haaren fest, verbot sie mir, und krall dich überhaupt nicht so fest. Andauernd verbot sie mir irgendwas, wobei sie mich keinen Augenblick losließ, nicht mal, um die verdammte Platte umzudrehen, diese fucking Sticky Fingers von Seite A auf Seite B zu wenden, die Platte war schon lange zu Ende, meine Musik war zu Ende, das genau wollte ich vermeiden, aber die Platte drehte sich nur und quietschte, wickelte die Dunkelheit auf ihre schwarzen Vinylrillen auf, wehmütig und monoton, bis ich es nicht mehr aushielt und mich nach dem Plattenspieler ausstreckte und den Arm erwischte, die Nadel fuhr über die Platte und grub sich tief ein, da war es natürlich aus. Wieder eine Aufnahme weniger. Gegen Morgen schlief sie ein, aber nur für einen Augenblick, stand dann auf und fing an, ihre kindlichen Dinge einzusammeln. Die Brille setzte sie mir auf. Die Welt kam mir warm und vinylen vor.
Ich brachte sie nach Hause, wir liefen über die leeren Straßen, und als uns ein zufälliges Auto überholte, sprang sie in den Schatten, sie wollte nicht, daß man uns zusammen sah. Ich war siebzehn, sie vierzehn, sie glaubte mir nicht, dachte, ich würde Schluß machen. Und so kam es auch.
4. Creedence Clearwater Revival. Up Around The Bend.
Unser Freund Roman mußte auf Expedition. Er war Historiker, und einmal im Jahr, im Sommer, fuhren sie alle auf Expedition, wohnten in Zelten und buddelten. Meistens versuchten die Expeditionsleiter, unseren Freund zu Hause zu lassen, da er sich gleich in den ersten Tagen über alle verfügbaren Alkoholvorräte hermachte und dann zum Duftwasser überging, dieses Mal allerdings sah es schlecht aus, es gab keinen, der buddeln konnte, und so mußte Roman auch mit. Nach einer Woche rief er an und bat mich, am Wochenende vorbeizukommen. Gut, sagte ich, du kannst mit uns rechnen. Bringt was mit, bat er noch, wenigstens Kölnischwasser. Gut, sagte ich, was für eine Sorte darf’s denn sein? Was labere ich da eigentlich, dachte ich, und damit war das Gespräch beendet.
Zwischen Frühjahr und Herbst ’92 waren wir eine große, fröhliche Familie gewesen. Schon damals sahen wir erbärmlich aus, aber das juckte uns nicht. Roman war der einzige von uns, der eine normale soziale Position einnahm, mit anderen Worten, er hatte eine Freundin. Das Mädchen war uns völlig zufällig untergekommen, sie hatte Roman seinerzeit irgendwo in der Stadt aufgelesen, ihn zu uns nach Hause geschleppt und war dann einfach bei ihm geblieben. Ihr Familienleben ging uns auf den Keks. Besonders nervte uns, wenn sie anfingen zu ficken und das, wie soll man sagen, vor unseren Augen, ja, vielleicht so, einfach vor unseren Augen, ungezwungen und unermüdlich, ihre Liebe war lang und traurig, traurig für uns, heißt das, wir wollten alle ein Mädchen, aber sie gehörte unserem Freund. Der Sommer brach an.
Bei befreundeten Straßenhändlern kaufte ich Alk. Sie hätten mir eigentlich nicht helfen müssen, wir waren nicht richtig befreundet, aber meistens ist das Geschäft der erste Schritt zu normalen menschlichen Beziehungen, ich bezahlte wie
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