Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
Leben ist, wegen deiner Fahrlässigkeit seine Schuldnerin bleiben wirst.«
»Das weiß ich«, erwiderte Nastja mit tonloser Stimme. Und innerlich fügte sie hinzu: Ich bin bereit, die Verantwortung für alles zu übernehmen, was ich getan habe, wie General Vakar sagte. So ungeheuerlich es auch klingt, aber Sie, Wladimir Sergejewitsch, sind in gewisser Weise zum moralischen Vorbild für mich geworden. Ich danke Ihnen. Und verzeihen Sie mir.
7
Die Trauerfeier fand im Festsaal der Akademie des Generalstabes statt. Eduard Petrowitsch Denissow hatte darauf bestanden, mit Nastja zusammen hierherzukommen.
»Ich möchte den Menschen sehen, dem mein toter Sohn das Leben retten wollte«, sagte er entschieden.
Sie standen nebeneinander in der Menschenmenge, zwischen den vielen, die gekommen waren, um sich von General Wladimir Vakar zu verabschieden, die bleiche, unglückliche Nastja und der hochgewachsene, grauhaarige Denissow, dem nichts von seiner inneren Verfassung anzumerken war. Neben dem Grab erblickten sie Vakars Ehefrau und seine Tochter, neben ihr stand Dmitrij Sotnikow. Lisa war schrecklich anzusehen, sie schien nicht zu verstehen, was vor sich ging, warum ihr Vater hier lag und irgendwelche Leute ihm Abschiedsworte sagten. Ihr verfinstertes Gesicht war gezeichnet von Verzweiflung und Irrsinn. Immer wieder knickten ihre Beine ein, und Dmitrij mußte sie stützen. Jelena hingegen stand in strenger, feierlicher Haltung da, mit einem lichten Ausdruck der Genugtuung im Gesicht, so als würde sie einem Engelschor lauschen, der nur für sie sang.
»Wir, die Soldaten der Luftlandedivision unter dem Kommando von Generalmajor Vakar, werden uns immer daran erinnern, daß wir unser Leben nur ihm verdanken. Er brachte den Mut auf, die Ausführung eines Befehls zu verweigern, der auf veralteter Information basierte, er hat alles riskiert und uns dadurch vor dem sicheren Tod bewahrt. . . Wir sind fünfundsechszig Soldaten, und wir sind hierher gekommen, um zu sagen, daß Wladimir Sergejewitsch in jedem einzelnen von uns weiterleben wird, in fünfundsechzig Leben, die er gerettet hat. Solange es uns gibt und solange wir uns an ihn erinnern, wird auch er am Leben sein.«
Nastja blickte in das erschütterte Gesicht des jungen Mannes, der diese Worte gesprochen hatte, dann wandte sie ihre Augen zu den anderen, die hinter ihm standen. Fünfundsechzig junge Gesichter, fünfundsechzig Augenpaare, die Abschied nahmen von ihrem Abgott. Was würde mit ihren Seelen geschehen, wenn sie erfahren würden, daß sie ihr Leben einem Mörder verdankten?
Nein, sagte sich Nastja, um keinen Preis. Ich werde es niemals jemandem sagen. General Vakar soll als Held sterben. Diese fünfundsechzig jungen Menschen sollen ein langes und glückliches Leben leben, sie sollen ein Vorbild haben, an dem sie sich messen können. Niemand wird jemals die Wahrheit erfahren, und niemand bedarf dieser Wahrheit.
»Anastasija!« Denissow berührte Nastjas Schulter. »Warum lächelt diese Frau so seltsam?«
»Sie ist der Meinung, daß die Gerechtigkeit triumphiert. Irgendwann, vor vielen Jahren, hat man ihren kleinen Sohn umgebracht, und sie wollte ihren Mann davon überzeugen, daß er sich an den Mördern rächen muß. Sie war der Meinung, daß die Seele des Kindes keine Ruhe findet, solange die Unholde noch auf dieser Erde herumlaufen. Immerzu machte sie ihrem Mann Vorwürfe, weil er sich der Sache nicht annahm. Nun hat Gott selbst ihn gerichtet.«
»Was für ein Wahnsinn. Ist diese Frau psychisch krank?«
»Nein, sie ist einfach eine religiöse Fanatikerin. Die Tochter ist in der Tat schwer krank. Können Sie sich vorstellen, in welcher Hölle dieser Mensch gelebt hat?«
»Wie lange hat das alles denn gedauert?«
»Neun Jahre.«
»Er ist nicht zu beneiden.« Eduard Petrowitsch schüttelte den Kopf. »Vielleicht ist es gotteslästerlich, so zu denken, aber es sieht so aus, als wäre das, was geschehen ist, das Beste für ihn. Eine Erlösung.«
»Vielleicht«, sagte Nastja traurig, »vielleicht.«
»Und der Verbrecher? Ich meine den, der den General und meinen Jungen erschossen hat. Weiß man, wer er ist?«
»Ja. Wir sind drauf und dran, ihn zu fassen. Im übrigen helfen uns Ihre Leute sehr bei der Suche nach ihm, Eduard Petrowitsch. Ich rede wahrscheinlich Unsinn, aber vielleicht wird Sie das ein wenig trösten. Wenn wir ihn fassen, dann nur dank Ihnen und Ihren Leuten.«
». . . Ein Musterbeispiel für Standhaftigkeit, innere Festigkeit und
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