Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
Badezimmertür ertönte Ljoschas Stimme.
»Nastja, Gordejew ist am Telefon. Willst du ihn sprechen, oder soll ich sagen, daß du später zurückrufst?«
Viktor Alexejewitsch Gordejew war Nastjas Chef. Wenn er am Samstag bei ihr zu Hause anrief, bedeutete das nichts Gutes. In ihr meldete sich die leise Hoffnung, daß sie zum Dienst gerufen und so auch diesmal wieder um das verhaßte Bankett herumkommen würde. Jede Art von Menschenansammlungen und geselligen Zusammenkünften war ihr zuwider.
»Bring das Telefon herein«, rief sie durch die Tür.
Ljoscha öffnete die Tür und reichte ihr den Apparat, durch den Türspalt strömte ein kalter Lufthauch ins dampfige Badezimmer. Sie vernahm Gordejews Stimme in der Leitung.
»Anastasija, ich glaube, ich muß dir wieder mal das Wochenende verderben. Hast du schon von dem gemeinsamen Beschluß des Innenministeriums und der Generalstaatsanwaltschaft gehört? Es geht um unsere schlechten Ergebnisse bei der Aufklärung von Mordfällen.«
»Natürlich, ich habe den Beschluß sogar gelesen.«
Sie suchte sich eine bequemere Haltung und hielt ihren schmerzenden Rücken unter den heißen Wasserstrahl.
»Dann weißt du ja Bescheid. Wir müssen dringend eine Auswertung der unaufgeklärten Mordfälle der letzten fünf Jahre machen und einen Bericht abliefern. Ist dir die Aufgabenstellung klar?«
»Klarer geht’s nicht«, seufzte sie. »Und der Termin?«
»Natürlich vorgestern. Wie lange wirst du brauchen?«
»Na ja«, Nastja zögerte. »Eine Woche, wenn ich dranbleiben kann.«
»Was denn?« knurrte Gordejew, »glaubst du wirklich, daß ich dir erlauben werde, eine ganze Woche nichts anderes zu tun? Hör zu. Nimm dir soviel Zeit, wie du brauchst, aber der Bericht muß so werden, daß wir stolz darauf sein können. Mit denen dort oben werde ich schon irgendwie fertig, wenn sie Druck machen. Aber zieh die Sache nicht in die Länge, abgemacht?«
»Danke, Viktor Alexejewitsch. Ich werde mir die größte Mühe geben.«
Eingehüllt in einen warmen Bademantel, die nassen Haare mit einem Handtuch umwickelt, trat Nastja aus dem Bad und stieß auf dem Flur sofort mit Ljoscha zusammen. Er sah sie mit traurigen Augen an.
»Es wird also wieder nichts?«
Sie nickte wortlos, zerrissen zwischen Mitleid mit Ljoscha und ihrer Abneigung gegen das Bankett. Schließlich siegte das Mitleid.
»Ich schlage einen Kompromiß vor«, sagte sie. »Wir gehen zu dem Bankett, anschließend fahren wir bei dir zu Hause vorbei, holen deinen Computer und stellen ihn vorübergehend hier auf. Für zwei Wochen, nicht mehr. Auf dem Computer schaffe ich den Bericht sehr viel schneller. Andernfalls müßte ich mich jetzt sofort an die Arbeit machen.«
»Aber wie soll ich so lange ohne meinen Computer auskommen?« fragte Ljoscha verwirrt.
»Du hast die Wahl. Zwei Wochen ohne Computer oder heute abend auf dem Bankett ohne mich.«
»Kann ich in diesen zwei Wochen hier wohnen und den Computer tagsüber benutzen, wenn du nicht da bist?«
»Natürlich, mein Schatz. Und wenn du schon hier bist, kannst du auch die Einkäufe machen und für mich kochen.«
»Nastja, du bist eine schamlose Egoistin. Der Himmel weiß, warum ich dich liebe.«
»Nur aus Faulheit«, entgegnete sie. »Verlieben kann man sich in einer Sekunde, das geht blitzschnell, aber sich wieder entlieben – das ist Schwerstarbeit. Warum wird die unerwiderte Liebe zu einer Tragödie? Weil die meisten Leute nicht fähig sind, diese Schwerstarbeit zu leisten und sich wieder zu entlieben.«
Sie setzte sich auf einen Stuhl in der Küche, steckte den Fön ein und begann, sich die Haare zu trocknen.
»Stell dir vor, was für Qualen das sind. Du weißt, daß deine Liebe für einen anderen eine Last ist, daß sie ihn unglücklich macht. Du versuchst, sie dir aus dem Leib zu reißen, aus deinem lebendigen Fleisch, aber je mehr du blutest, desto mehr liebst du, und mit der Zeit verlierst du den Verstand . . .«
Nastjas Stimme war plötzlich schrill geworden, ihre Wangen hatten sich gerötet, ihre grauen Augen hatten die Farbe gewechselt und waren stechend blau geworden. Sie begriff, daß sie zu weit gegangen war. Sie hatte sich an einen längst vergessenen Schmerz erinnert und ihm ungewollt die Schleusen geöffnet, und das in Ljoschas Anwesenheit. Du bist ein herzloses Miststück, sagte sie sich. Aber es war bereits zu spät. Auch Ljoscha war die alte Geschichte wieder eingefallen, und wahrscheinlich schmerzte ihn das mehr als sie selbst.
»Ich koche
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