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Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Kaffee«, sagte er mit gewollt gleichgültiger Stimme und öffnete den Schrank, um die Kaffeemühle zu holen.
    Nastja fönte sich mit übertriebener Sorgfalt das Haar, Ljoscha widmete sich mit ebensolcher Gewissenhaftigkeit der Prozedur des Kaffeekochens, peinlich auf alle vorschriftsmäßigen Feinheiten bedacht. Keiner von beiden hatte Lust zu reden, es war ohnehin alles klar.
    »Was meinst du, welche Ohrringe passen am besten zu dem neuen Kleid?« fragte Nastja vorsichtig, als das Haar trocken, der Kaffee ausgetrunken und es höchste Zeit war, endlich etwas zu sagen, um nicht endgültig in der Peinlichkeit des eingetretenen Schweigens steckenzubleiben.
    »Das überlasse ich dir«, sagte Ljoscha reserviert und wich ihrem Blick aus.
    Ich habe es ja gewußt, dachte Nastja, er ist gekränkt. Die Natur hat mich zweifellos mit ungewöhnlicher Sensibilität ausgestattet. Zuerst wollte ich das Kleid nicht anziehen und dann dieses blödsinnige Geschwätz . . . Ausgerechnet an dem Tag, an dem das internationale Symposium zu Ende geht, in das er so viel Kraft und Nerven investiert hat. Man hat ihn als Begründer einer neuen wissenschaftlichen Schule gefeiert, ihm wieder einmal eine unglaublich hohe Auszeichnung verliehen und ihn zum Mitglied irgendeiner Akademie gewählt. Aber selbst den Namen dieser Akademie habe ich vergessen. Mein Gott, ich benehme mich wirklich unmöglich. Ich muß dringend etwas tun, um die Lage zu retten.
    Die Rettung der Lage nahm fast eine Stunde Zeit in Anspruch, deshalb mußte Nastja sich in Rekordgeschwindigkeit anziehen und zurechtmachen. Sie stand mit der Tasche in der Hand auf dem Flur und warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel.
    »Die Augen«, fiel ihr plötzlich ein, »ich habe die Augen vergessen.«
    »Die Augen?« fragte Tschistjakow verständnislos. Er war noch etwas betäubt, wie immer nach der Liebe.
    »Ich habe vergessen, die Linsen einzusetzen«, erklärte Nastja und stürzte noch einmal ins Bad, wo sie den Behälter mit den grünen Haftschalen öffnete. Die Farbe der Augen mußte zu den Smaragdohrringen passen, die sie trug. Und sie hatte ein Make-up aufgelegt, das für grüne Augen gedacht war und nicht für nichtssagend farblose.
    Sie kam mit grün schimmernden Katzenaugen aus dem Bad, schön und elegant, das Haar hoch über dem Nacken zu einem geheimnisvollen Knoten verschlungen. Ja, Nastja Kamenskaja war jetzt sehr schön. Sie wußte, daß die geschminkten Lider spätestens nach einer halben Stunde zu brennen und zu jucken anfangen würden, ihre Füße würden anschwellen und unerträglich zu schmerzen beginnen in den engen modischen Schuhen, und nach zwei Stunden würde es ihr Vorkommen, als hätte sie mit Salzsäure getränkten Sand in den Augen, weil die smaragdgrünen Linsen keinen Sauerstoff durchließen. Der Abend würde qualvoll sein, aber Ljoscha hatte sich sein Fest verdient, und er würde es bekommen.
    2
    Lisa schaltete das Bügeleisen ab und betrachtete befriedigt die gebügelten Kleidungsstücke. Auf den Blusen war kein einziges Fältchen mehr zu sehen.
    »Mama«, rief sie, »welche Bluse ziehst du an?«
    Jelena betrat in einem langen Morgenmantel die Küche und machte sich nörgelnd an den Blusen zu schaffen, die akkurat über den Stuhllehnen hingen. Ihre stattliche, etwas füllig gewordene Figur stand in auffallendem Kontrast zu dem hohlwangigen, faltigen Gesicht mit den seltsam erstarrten, getrübten Augen, die einer halb verrückten Greisin zu gehören schienen. Ihre Wahl fiel auf eine goldfarbene Baumwollbluse mit langen Ärmeln und besticktem Kragen.
    »Häng die anderen in den Schrank«, befahl sie ihrer Tochter und ging aus der Küche.
    Lisa zuckte stumm mit den Achseln, klappte das Bügelbrett zusammen und hängte die Blusen in den Schrank, sorgsam darauf bedacht, sie nicht wieder zu zerknittern. Die Wahl, die ihre Mutter getroffen hatte, gefiel ihr nicht. Sie hatte eine festliche Bluse ausgesucht, und das bedeutete, daß sie den heutigen Tag nicht für einen gewöhnlichen Samstag hielt.
    »Heute ist der zweite Jahrestag unseres ersten Feiertags«, hatte Jelena am Morgen feierlich verkündet, eine Dose mit rotem Kaviar geöffnet und die Frühstücksbrote damit belegt. »Ich hoffe, daß auch der vierte Feiertag nicht mehr lange auf sich warten läßt.«
    Lisa hatte bemerkt, wie der Vater bei diesen Worten zusammenzuckte und erbleichte. Insgeheim war sie mit der Mutter einverstanden, doch dem Vater waren solche Gespräche immer sehr unangenehm, und

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