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Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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das Mädchen hatte aufrichtiges Mitgefühl mit ihm. Natürlich hatte die Mutter in allem recht, ihre Forderungen waren absolut berechtigt und mußten widerspruchslos erfüllt werden. Trotzdem waren ihre demonstrativen Äußerungen nicht sehr feinfühlig gegenüber ihrem Ehemann. Nun hatte sie also eine festliche Bluse für den Abend gewählt, und wenn es zum Frühstück Kaviar gegeben hatte, dann würde das Abendessen nicht weniger aufwendig sein, damit ja niemand in der Familie den »zweiten Jahrestag« vergaß. Vielleicht würde die Mutter heute abend sogar lächeln, und der Vater würde nachts nicht in seinem Arbeitszimmer schlafen, wie gewöhnlich, sondern im Zimmer seiner Frau.
    Lisa vernahm die Stimme der Mutter.
    »Hast du heute Andrjuschas Zimmer gelüftet?«
    »Ja, Mama.«
    »Und auch abgestaubt?«
    »Ja, ich habe alles gemacht, sei unbesorgt.«
    Jelena steckte den Kopf durch die Küchentür, hinter der ihre Tochter das Geschirr spülte.
    »Ich gehe jetzt zur Patentante«, sagte sie, »und zünde eine Kerze an. Ich bin bald wieder zurück.«
    »Bitte zünde auch von mir eine an«, bat Lisa.
    Als die Wohnungstür hinter der Mutter ins Schloß gefallen war, ließ Lisa das noch unabgewaschene Geschirr in der Spüle liegen, trocknete sich hastig die Hände ab, öffnete das Fenster und holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche ihrer Schlafanzughose. Die Mutter verbot ihr kategorisch, in der Wohnung zu rauchen, aber sie hatte keine Lust, sich anzuziehen und ins Treppenhaus hinauszugehen. Obwohl es schon Nachmittag war, lief sie immer noch im Schlafanzug herum, ungewaschen und ungekämmt. Was war aus ihrem Leben geworden! Mit fünfundzwanzig Jahren hatte sie immer noch keine interessante Arbeit, keine Liebe, keine Freunde. Ihr Herz war nur erfüllt von Haß und einem unersättlichen Verlangen nach Rache. Alle Hoffnungen, die sie in ihren Bruder gesetzt hatte, waren für immer dahin. Ach, Andrjuscha, Andrjuschenka . . .
    Lisa zerdrückte die halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher und brach in haltloses Schluchzen aus.
    3
    Igor Jerochin liebte die Moskauer Metro. Vor allem in den Stoßzeiten war es fast ausgeschlossen, in dem nie abreißenden, chaotischen Menschenstrom auf jemanden zu stoßen, den man kannte. Und wenn es doch einmal geschah, war es ein leichtes, blitzschnell im Menschengewühl unterzutauchen und zu verschwinden.
    Er nahm den vereinbarten Posten ein, von dem aus man die Bank neben dem Übergang zur anderen Station im Blick hatte. Neben dieser Bank würde das Treffen stattfinden, das nur einige Sekunden dauern und eine halbe Million Dollar einbringen würde. Igors Anteil an der Beute würde nur zwanzigtausend Dollar betragen, aber das war gerecht und außerdem gar nicht schlecht in Anbetracht der Tatsache, daß dies nicht das erste Treffen dieser Art war und, so Gott wollte, auch nicht das letzte. Wie das Sprichwort sagte: Kleinvieh macht auch Mist.
    Bis zur verabredeten Zeit waren es nur noch wenige Minuten. Igor überblickte gewohnheitsmäßig den überfüllten Bahnsteig. An der Säule gegenüber entdeckte er einen jungen Mann mit auffallend gleichgültigem Gesichtsausdruck, er flanierte allein am Bahnsteig entlang. Alles wie geplant, konstatierte Igor, gleich wird Artjom erscheinen und zehn Sekunden später Johnny. Der wirkliche Name des amerikanischen Partners war ihm unbekannt, es waren jedesmal andere Männer, die zu dem Treffen kamen, und für Igor hießen sie alle Johnny.
    Er erblickte Artjom schon von weitem in der Menschenmenge. Er trug einen unauffälligen hellbraunen Regenmantel, wie tausend andere Moskauer auch. Ohne Eile näherte er sich der Bank, stellte seinen Aktenkoffer darauf ab, öffnete ihn und begann, etwas zu suchen. Er machte eine ungeschickte Bewegung, und im nächsten Moment ergoß sich der gesamte Inhalt des Aktenkoffers auf den Bahnsteig. Artjom bückte sich schwerfällig und begann, die herumliegenden Kugelschreiber, in Klarsichthüllen verpackten Papierstücke und anderen Kram aufzusammeln. Er hatte sich die linke Hand verbrüht und ließ sie deshalb in der Manteltasche, der dicke, häßliche Verband hätte Aufmerksamkeit erregen können. Ein Vorübergehender bückte sich, hob das ebenfalls zu Boden gefallene Feuerzeug auf und reichte es Artjom. Dieser dankte mit einem freundlichen Nicken. Das war’s. Das Treffen hatte stattgefunden. Nur war diesmal etwas Unvorhergesehenes passiert. Genau in dem Moment, in dem das Feuerzeug überreicht wurde, war neben Artjom und

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