Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
du mir deine Waffe gegeben hast und ich sie genommen habe. Dafür reißt man uns die Köpfe ab.«
»Und was ist, wenn etwas passiert, und du ohne Waffe dastehst? Was wird dann mit deinem Kopf? Hier, nimm, sonst werde ich keine Ruhe haben.«
Nastja blickte um sich, um jemanden von den Ihren zu entdecken. Hinter einer offenstehenden Bürotür erblickte sie Tschistjakow, der sich mit dem Untersuchungsführer unterhielt. Sascha war nirgends zu sehen, aber nicht weit entfernt saß die von allen vergessene Dascha in einem Sessel neben einer künstlichen Palme. Nastja fühlte eine heiße Wallung von Mitleid für das Mädchen, das diesem Tag, dem wichtigsten ihres Lebens, so lange entgegengefiebert hatte und nun allein und unglücklich in einem Sessel saß, vor Augen die hektischen Aktivitäten der Miliz, die nach dem Mörder einer Braut suchte.
»Daschenka«, rief sie, »komm doch bitte mal her!«
Dascha erhob sich schwerfällig und ging auf Nastja und Korotkow zu. Nastja sah in ihr bleiches Gesicht mit den dunklen Augenringen und begriff plötzlich, daß sie mitgenommen und erschöpft war. Kein Wunder, wenn man in so ein Debakel geriet, noch dazu im achten Monat schwanger! Sie hätte jetzt ein bequemes Bett gebraucht, auf dem sie ein Stündchen hätte ausruhen können, bei weit geöffnetem Fenster und zugezogenen Vorhängen. Sie war bereits seit sechs Uhr morgens auf den Beinen, und das an einem mit so vielen Emotionen verbundenen Tag.
»Daschenka, gib uns doch bitte mal kurz Deckung, und dann fahren wir los. Wo ist Sascha?«
»Ich weiß es nicht, er ist mit irgendeinem Mann weggegangen.«
»Mit was für einem Mann?«
»So ein kleiner mit Schnurrbart, in einem karierten Hemd.«
»Das ist der Gutachter«, sagte Korotkow. »Ich werde mich gleich auf die Suche nach deinem Bruderherz machen, Nastja. Dascha, stellen Sie sich bitte für einen Moment so hin, daß die andern Nastja und mich nicht sehen können.«
Dascha ging gehorsam in Positur. Nastja sah sich verstohlen um und öffnete ihre Handtasche. Korotkow zog seinen Revolver aus dem Holster und schob ihn schnell ins Innere der Handtasche.
»Fertig.«
Korotkow ging rasch zu dem Büro, in dem Tschistjakow befragt wurde.
»Michail, laß den Mann endlich gehen, sein Hochzeitsessen wird kalt.«
Er sah den Unwillen im Gesicht des Untersuchungsführers.
»Du kannst ihn ruhig gehen lassen«, fügte er hinzu, »er entkommt uns sowieso nicht, denn er ist der frischgebackene Ehemann unserer Nastja. Wenn wir ihn brauchen, holen wir ihn sogar unter der Erde hervor.«
Der Untersuchungsführer brach das Gespräch widerstrebend ab. Ljoscha lächelte dankbar und verließ das Zimmer, während Korotkow durch die Halle zu laufen und nach dem Gutachter zu rufen begann.
Eine Minute später erschien Alexander, und in Begleitung von Korotkow traten sie alle gemeinsam auf die Straße hinaus.
»Wer fährt mit wem?« fragte Nastja, unentschieden von Saschas zu Ljoschas Auto blickend. Sie wäre sehr gern zu Ljoscha ins Auto gestiegen, aber sie hatte Angst, ihren Halbbruder mit Dascha allein zu lassen. Sascha wußte von dem Drohbrief und konnte inzwischen durchaus zu denselben Schlüssen gekommen sein wie sie selbst. Sie durfte auf keinen Fall zulassen, daß er seiner Frau oder Tschistjakow davon erzählte.
»Jetzt können wir . . .«, hob Dascha an, aber Nastja, der klar war, was sie sagen wollte, unterbrach sie.
»Wir sollten unsere Tradition beibehalten. Ich schlage vor, daß wir wieder genauso fahren wie die ersten beiden Male. Aller guten Dinge sind drei.«
Dascha stieg gehorsam zu Tschistjakow ins Auto, und Nastja nahm Platz neben ihrem Halbbruder.
Eine Weile fuhren sie schweigend. Schließlich hielt Alexander es nicht mehr aus.
»Nastja, glaubst du nicht, daß . . .«
»Doch, Sascha, ich glaube es. Aber ich möchte, daß das unter uns bleibt. Du hast mir heute morgen deine Unterstützung angeboten, du hast gesagt, daß ich immer auf dich zählen kann. Hast du das gesagt?«
»Ja, das habe ich gesagt. Was kann ich für dich tun?«
»Erstens schweigen. Ljoscha darf nichts von dieser Sache erfahren und Dascha erst recht nicht. Sie würden verrückt werden vor Angst. Zweitens bitte ich dich, in den Rückspiegel zu schauen, ob nicht jemand hinter uns herfährt. Drittens . . . nein, kein drittens mehr.«
»Warum nicht? Sprich, Nastja, tu dir keinen Zwang an.«
»Denk drittens daran, daß ich einen Revolver in der Handtasche habe. Aber ich werde kaum in der Lage sein, ihn zu
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