Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
benutzen.«
»Warum nicht?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie mit einem Schulterzucken. »Ich würde wahrscheinlich Angst bekommen, die Nerven verlieren. Ich habe keine Routine im Schießen.«
»Möchtest du, daß ich den Revolver benutze?«
»Gott bewahre! Auf keinen Fall. Du sollst einfach nur wissen, daß ich ihn bei mir habe. Und wenn etwas passieren sollte, dann achte darauf, daß mir niemand die Handtasche entreißt oder ich sie selbst fallenlasse vor Schreck. Und außerdem, denk daran, daß man die Handtasche mit dem Revolver darin gut benutzen kann, um jemandem auf den Kopf zu schlagen. Ich werde das mit Sicherheit nicht können, aber du schaffst das.«
Sie erreichten das Restaurant und erblickten sofort ihre Eltern, die vor dem Eingang standen und sich angeregt unterhielten. Nastja sprang aus dem Auto und lief zu ihrer Mutter.
»Mama!«
»Töchterchen! Herzlichen Glückwunsch! Ljoscha, mein Lieber, komm her.«
Nadeshda Rostislawowna stellte sich auf die Zehenspitzen und ergriff Tschistjakow an seinem dichten Haarschopf.
»Gut gemacht, Ljoscha, du bist ein prachtvoller Junge. Endlich hast du meiner Tochter Verstand beigebracht. Ich habe immer gewußt, daß du das schaffst.«
Einige Minuten waren dem Austausch von Umarmungen, Küssen und Glückwünschen gewidmet. Mit Neugier beobachtete Nastja Pawel Iwanowitsch, ihren leiblichen Vater, der, wie es schien, in Gegenwart seiner einstigen Ehefrau keinerlei Unbehagen empfand. Ganz offensichtlich hatte Sascha recht gehabt, alles das lag schon so weit zurück, daß es niemanden mehr beunruhigte.
Auf dem Weg ins Restaurant holte Nastja Dascha ein, die neben ihrer Mutter ging, und berührte sie am Arm.
»Daschenka, komm, wir gehen uns frisch machen. Wir sollten unsere Eltern nicht aufregen mit dieser Geschichte. Abgemacht?«
Dascha hob ihre müden, gequälten Augen und nickte wortlos.
Am Tisch saß Nastja ihrem Stiefvater gegenüber, dem ihre Blässe und Angespanntheit nicht entgingen. Eine Weile blickte er seine Stieftochter schweigend an, dann holte er demonstrativ seine Zigaretten aus der Tasche und machte Nastja ein Zeichen.
Sie gingen zusammen hinaus in die Halle, setzten sich in einen der Sessel und steckten sich eine Zigarette an.
»Erzähl, Tochter!« sagte Leonid Petrowitsch streng. »Und komm nicht auf die Idee zu behaupten, daß nichts passiert ist.«
»Im Standesamt wurde ein Mord begangen«, sagte Nastja schlicht. »Eine junge Braut wurde erschossen. Wir mußten auf die Miliz warten und haben bis zu ihrem Eintreffen die Ein-und Ausgänge bewacht. Darum sind wir zu spät gekommen.«
»Das kannst du deinem Mann erzählen. Aber mir sag bitte die Wahrheit, sei so nett.«
»Aber Papa, Ehrenwort. . .«
»Nastja, mein Kind, du enttäuschst mich«, seufzte der Stiefvater. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß ich in deinem Gesicht lesen kann wie in einem offenen Buch. Wann wirst du mir das endlich glauben?«
»Versprich mir, daß du Mutter nichts sagen wirst«, verlangte Nastja.
»Ich verspreche überhaupt nichts«, erwiderte Leonid Petrowitsch ärgerlich. »Ich bin ein alter Hase, ein mit allen Wassern gewaschener Ermittler, auch wenn ich in den letzten Jahren nur noch unterrichte. Was ich wem sage, entscheide ich selbst. Du hast mir keine Bedingungen zu stellen, Kleines.«
»Ich bin nicht klein«, korrigierte ihn Nastja mit einem Lächeln, »ich habe soeben geheiratet, ich bin eine junge Ehefrau.«
»Eine junge Ehefrau bist du für deinen Ljoscha, aber für mich immer noch mein Kind. Raus mit der Sprache!«
»Nun ja. . . so ein Typ bedroht mich. Aber auch das ist ja normal, nichts Außergewöhnliches in unserem Beruf. Deshalb bin ich etwas nervös. Das ist alles.«
»Das ist alles? Und der Mord im Standesamt? Hängt das eine irgendwie mit dem anderen zusammen?«
»Nein, Papa, keinesfalls. Mach dir darüber keine Gedanken!«
»Also hängt es zusammen. Sonst würdest du es weniger nachdrücklich sagen. Merk dir, Kind, je mehr Worte, desto größer der Verdacht, daß sich dahinter eine Lüge verbirgt. Wirst du allein damit zurechtkommen?«
»Ich werde es versuchen. Aber sag Mama bitte nichts, ja?«
»Über den Umgang mit deiner Mutter brauchst du mich nicht zu belehren«, sagte er schmunzelnd, drückte seine Zigarette im Ascher aus und erhob sich. »Laß uns feiern gehen. Oder mußt du noch einmal zurück zum Standesamt?«
»Nicht unbedingt. Die Neugier quält mich natürlich, aber für die Sache an sich ist es nicht nötig. Und
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