Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
hätte man hier genommen. Eine Wohnerlaubnis für Moskau bekam er allerdings nicht mehr, er mußte in die Vorstadt ziehen, aber das machte Pawel nichts aus. 1980 kam er erneut ins Kittchen, diesmal dafür, daß er seine sexuellen Bedürfnisse direkt am Arbeitsplatz befriedigt hatte, indem er weibliche Leichen schändete. Das Gericht schonte ihn nicht und brummte ihm die Höchststrafe auf. Er wurde wegen verschärften Rowdytums, das alle Kriterien besonders zynischer Vorgehensweise erfüllte, zu acht Jahren Haft verurteilt.
1985 wurde ihm bedingte Strafaussetzung gewährt, er verließ das Gefängnis völlig heruntergekommen, bis zur letzten Pore durchtränkt von Spiritus und jeder anderen Art von gefängnisüblichem Alkoholersatz. Und eines Tages traf er Veronika Matwejewna Turbina auf der Straße, fast zwanzig Jahre nach jener unheilvollen Nacht. Veronika hatte sich in der langen Zeit kaum verändert, sie schien nur etwas kleiner geworden zu sein und wirkte irgendwie vertrocknet. Allerdings war sie auch damals, vor annähernd zwanzig Jahren, schon sehr schlank und klein gewesen, sie hatte die Figur eines jungen Mädchens mit schmalen Hüften und flachen Brüsten gehabt. Jetzt ging neben ihr ein großgewachsener, gutaussehender junger Mann mit schwarzen Haaren. An irgend jemanden erinnerte Pawel dieser junge Mann, aber es fiel ihm nicht ein, an wen. Er verstellte Veronika Matwejewna mit einem höhnischen Grinsen den Weg.
Sie erkannte ihn sofort und wich zurück, mit einem erschrockenen Seitenblick auf den jungen Mann neben sich. Und da begriff Pawel Smitijenko. Der Junge war das Ebenbild seiner selbst vor zwanzig Jahren. Die Größe, das dunkle Haar, die Figur, die Augen – alles das war von ihm, von Pawel.
»Wie geht es denn so, Veronika Matwejewna?« erkundigte er sich höflich. »Freut mich, Sie wiederzusehen.«
Sie rang um Fassung. Zu behaupten, daß er sich getäuscht hätte, daß sie ihn nicht kennen würde, wäre dumm gewesen, da er sie mit ihrem Namen angesprochen hatte.
»Danke, bei mir ist alles in Ordnung«, erwiderte sie nervös.
»Ist das Ihr Söhnchen?«
»Ja.«
Smitijenko sah in ihren Augen eine solche Panik, daß sofort ein Plan in ihm reifte.
»Ein hübscher Junge«, sagte er wohlwollend. »Wohnen Sie immer noch unter Ihrer alten Adresse, oder sind Sie inzwischen umgezogen?«
»Nein, wir sind nicht umgezogen, wir wohnen immer noch im selben Haus, in der Nachbarstraße« sagte sie, inzwischen ruhiger geworden. Offenbar war sie zu dem Schluß gekommen, daß Pawel keinen Verdacht geschöpft hatte.
Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten über Nebensächlichkeiten, dann verabschiedete sich Veronika Matwejewna mit offensichtlicher Erleichterung. Aber sie hatte sich zu früh gefreut. Pawel war sofort klargeworden, daß sie alles tun würde, um diesem so blendend aussehenden jungen Mann, seinem Sohn, zu verheimlichen, wer sein Vater war. Was für ein Märchen sie ihm wohl erzählt hatte?
Das nächste Mal lauerte er Veronika Matwejewna auf. Und ohne Umschweife stellte er seine Forderungen. Zum Glück sei es heute ja nicht mehr strafbar, keiner Arbeit nachzugehen, erklärte er, und für seinen Unterhalt, dafür, daß er still und friedlich leben und auch auf den Wodka nicht verzichten müsse, würde sie, Veronika Matwejewna, schon sorgen. Andernfalls wisse sie selbst, was passieren würde. Es würde eine Freude für den Jungen sein. Endlich würde er seinen Vater kennenlernen. Zur Vervollständigung des Bildes berichtete Smitijenko nicht nur davon, daß er zweimal im Gefängnis war, sondern verschwieg auch nicht, wofür er verurteilt wurde, und malte es schamlos in allen Farben aus.
So begann alles. Die Turbins zogen von einer Wohnung in die nächste um, und das Geld, das Veronika Matwejewna für jeden Wohnungstausch bekam, floß in den gierigen Schlund von Pawel Smitijenko. Und nun wollte das Söhnchen also heiraten! Pawel lauerte Valerij vor dessen Haus auf, beobachtete ihn mit seiner Braut und war nicht zu faul herauszufinden, wo sie wohnte und wer sie war. Das, was er erfuhr, ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Jetzt konnte er seinen Sohn anzapfen. Der würde sicher auch nicht wollen, daß seine neuen Schwiegereltern erfuhren, wer sein Vater in Wirklichkeit war. Ein einziges Wort, und er würde sofort zahlen, Pawel brauchte nur die Hand aufzuhalten. Besser hätte es nicht kommen können.
ZEHNTES KAPITEL
Der Glatzköpfige, den seine Freunde Stepaschka nannten, setzte sich auf
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