Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
wahrscheinlich damit, dass ich ihn zu Hause unter der Decke hüte und mit Tabletten füttere, aber ich denke nicht daran. Er soll seine Arbeit gefälligst allein machen.«
»Donnerwetter!«, sagte Gordejew belustigt. »Wie kommst du eigentlich immer auf diese hirnverbrannten Theorien?«
»Ich weiß nicht«, lachte Nastja. »Sie fanden ja immer schon, ich sei völlig verquer.«
»Das bist du mit Sicherheit. Hör zu, Kindchen, sagt dir der Name Jurzew etwas?«
»Ist das dieser Mafioso, der sich angeblich vergiftet hat?«
»Genau der.«
»Ich kenne ihn nicht persönlich. Aber Stassow hatte mal mit ihm zu tun. Er hat mir davon erzählt.«
»Und jetzt wirst du mir sagen, dass du keinen Klatsch magst, nicht wahr?«, frotzelte Gordejew.
»Das stimmt, ich mag keinen Klatsch. Aber sagen werde ich es nicht. Fragen Sie, ich antworte. Aber besser wäre es natürlich, Sie würden die Kollegen von der Abteilung zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens fragen oder General Satotschny selbst. Das ist deren Hoheitsgebiet.«
»Die kann ich immer noch fragen. Jetzt erzähl du erst mal, was du weißt.«
»Es ist nicht sehr viel. Im letzten Sommer hat Stassow mit seiner Tochter Urlaub im Süden gemacht, und seine geschiedene Frau arbeitete bei einem Filmfestival, das dort zur gleichen Zeit stattfand. Jurzew sponserte dieses Festival und verdiente dabei selbst nicht schlecht, indem er sämtliche Werbeeinnahmen kassierte. Außerdem gehörten ihm alle Restaurants und Kasinos in der Stadt, die während des Festivals natürlich überfüllt waren. Als Stassow ihn ein wenig unter die Lupe nahm, veranstaltete Jurzew eine regelrechte Hetzkampagne gegen ihn . . .«
Nastjas Bericht über die Erfahrungen, die Stassow, damals noch Oberstleutnant der Miliz, mit dem hochkarätigen Mafioso gemacht hatte, dauerte etwa eine halbe Stunde. Viktor Alexejewitsch hörte Nastja aufmerksam zu und stellte nur ab und zu eine Zwischenfrage.
»Mit anderen Worten, der Verstorbene war der unumschränkte Herrscher dieser Küstenregion«, resümierte Gordejew, nachdem er Nastja angehört hatte. »Die Sache geht uns natürlich nichts an, dafür ist die Abteilung zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens zuständig, aber mein siebter Sinn sagt mir, dass sie dort ein Ermittlungsteam bilden und darum bitten werden, dass jemand von uns dazukommt. Was hältst du davon, wenn ich dich dafür einteile?«
»Muss das sein, Viktor Alexejewitsch?«
Nastja kräuselte die Nase und begann, beherzt ihr Nasenbein zu reiben. Aber die altbewährte Methode versagte diesmal, das Niesen war nicht zu unterdrücken. Schnell hielt sie sich das Taschentuch vor die Nase.
»Warum arbeitest du eigentlich so ungern im Team, Nastja?«
»Wahrscheinlich fehlt mir der Teamgeist. Ich bin nicht der Typ Kolchosbäuerin, mir liegt eher der Einmannbetrieb. Ich möchte nicht ins Team, bitte«, bettelte sie.
»Ich möchte dich ja selbst nicht hergeben«, lächelte der Oberst, »aber wen soll ich einteilen, wenn nicht dich?«
»Zum Beispiel Kolja Selujanow.«
»Gut, ich werde darüber nachdenken. Hör mal zu, dein Stassow . . .«
»Er ist nicht mein Stassow, Sie übertreiben. Wenn schon, dann ist er unser Stassow.«
»Gut, dann ist er eben unser Stassow. Meinst du, er wird uns erzählen, was er über Jurzew weiß?«
»Warum denn nicht? Er hat doch nichts zu verbergen.«
»Dann ruf ihn doch an und bitte ihn, mal bei uns vorbeizukommen. Abgemacht?«
Nastja war klar, worum es ihrem Chef ging. Derjenige aus der Abteilung, der dem Ermittlerteam zugeteilt wurde, sollte wenigstens ein kleines bisschen mehr Hintergrundwissen besitzen als die Kollegen aus der Abteilung zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens, denn zwischen den Abteilungen und Dienststellen der Kripo herrschte immer eine gewisse Konkurrenz. Manchmal war das eine gesunde, sinnvolle Rivalität, aber manchmal ging es auch nur darum, die Kollegen vom anderen Ressort auszubooten und ihnen bei der Lösung eines Falles zuvorzukommen. Gordejew war nicht erpicht darauf, diese internen Machtspielchen mitzuspielen, aber manchmal wurden die Erfolge seiner Mitarbeiter zu wichtigen Trümpfen in diesem Gerangel um Autorität, in das Gordejew aufgrund seiner Stellung bei der Kripo automatisch verwickelt war, ob er nun wollte oder nicht.
Wladislaw Stassow erklärte sich bereit, am Nachmittag in der Petrowka vorbeizukommen. Er hatte mit sechsunddreißig Jahren die Kripo verlassen und eine Lizenz als Privatdetektiv erworben. Jetzt
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