Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
Präsidentschaftskandidaten war von seiner eigenen drogensüchtigen Tochter erschossen worden. Für Wjatscheslaw Jegorowitsch Solomatin war das eine gute Nachricht, jetzt konnte er freier atmen. Zuerst hatte Schabanow seinen letzten Gang angetreten, und jetzt war ihm Malkow gefolgt, sodass der Präsident einen Rivalen weniger hatte. Das Schicksal meinte es gut mit seinem Idol, es war auf seiner Seite in dem schweren, gerechten Kampf, den er kämpfte.
Am selben Tag teilte der Präsident öffentlich mit, dass die beiden von ihm gebildeten Kommissionen bis zum Ende der Woche ihre wissenschaftliche Studie zur Tschetschenienkrise vorlegen würden. So viel ihm bekannt sei, hätten die Kommissionen sieben Vorschläge zur Beendigung der Krise erarbeitet, aber er, der Präsident, habe bereits eine eigene, achte Variante. Solomatin triumphierte. Es war ihm schließlich doch noch gelungen, mit seinem Vorschlag zum Präsidenten vorzudringen, und dieser hatte ihn endlich bemerkt. Er hatte ihn nicht nur bemerkt, er hatte sich sogar bei ihm bedankt. Wjatscheslaw Jegorowitsch hatte es sich natürlich nicht verkneifen können, den Präsidenten an die alte Bekanntschaft zu erinnern. Der Präsident hatte freundlich gelächelt und so getan, als könne er sich genau erinnern, aber es war völlig offensichtlich gewesen, dass er keine Ahnung hatte, wovon Solomatin sprach. Aber das machte nichts. Jetzt hatte er Solomatin bemerkt und würde ihn von nun an nicht mehr vergessen. Das war die Hauptsache.
Bulatnikow hat Pawel Sauljak nicht umsonst so gelobt, dachte Wjatscheslaw Jegorowitsch. Der Mann verstand seine Sache. Wie war es ihm nur gelungen, an die wissenschaftliche Studie des Instituts heranzukommen, ohne auch nur das geringste Aufsehen zu erregen? Das wusste nur der liebe Gott. Nur zu gern hätte Solomatin Pawel als festen Mitarbeiter für sich gewonnen. Aber er musste sich damit abfinden, dass das unmöglich war. Pawel war nicht zu greifen, er nahm nur telefonisch Kontakt mit ihm auf und war nicht bereit, persönlich bei ihm zu erscheinen. Das Honorar für seine Dienste hatte er sich an einem geheimen Ort hinterlegen lassen.
* * *
Anton Andrejewitsch Minajew strich mit kräftigem Druck den letzten Namen auf seiner Liste aus. Eine Zeit lang betrachtete er nachdenklich das Blatt Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag, dann zerriss er es in kleine Fetzen und verbrannte sie im Aschenbecher. Der erste Teil seines Vorhabens war abgeschlossen. Dumm war nur, dass Pawel plötzlich spurlos verschwunden war . . .
TEIL 3
NEUNTES KAPITEL
Das kalte Klima des Ural war nicht spurlos an Nastja vorübergegangen. Kaum zurück in Moskau, bekam sie Halsschmerzen und Schnupfen, was aber keineswegs bedeutete, dass sie zu Hause im Bett blieb und nicht zum Dienst ging. Es lag, wie immer, viel Arbeit an, und eine Krankschreibung wäre nicht nur für sie, sondern für alle Mitarbeiter der Abteilung zur Bekämpfung schwerer Gewaltverbrechen ein unzulässiger Luxus gewesen.
Die Reise nach Samara und die Begegnung mit Pawel Sauljak hatten eine seltsame Beklemmung in ihr hinterlassen, obwohl eigentlich alles gut gegangen war. Sie hatte ihren Auftrag erfolgreich erfüllt, sie hatte Pawel unbehelligt von seinen Verfolgern nach Moskau gebracht und direkt bei General Minajew abgeliefert. Aber etwas beunruhigte sie ständig, brachte sie um Schlaf und Ruhe.
Einige Tage nach ihrer Rückkehr blickte der Dezernatsleiter, Oberst Gordejew, bei der obligatorischen Einsatzbesprechung freudlos in die Runde.
»So, Kinder«, sagte er mit einem Seufzer, »es ist so weit. Der Wahlkampf hat begonnen, und er hat uns bereits ein paar Aufsehen erregende Leichen beschert. In unserer Stadt hat ein hochkarätiger Mafioso aus südlichen Gefilden das Zeitliche gesegnet. Wir haben Anlass zu der Annahme, dass man ihm dabei geholfen hat, ins Jenseits zu gelangen. Nastja, du bleibst nach der Besprechung hier, mit dir muss ich gesondert reden.«
Als die Ermittlungsbeamten nach der Besprechung davoneilten, um ihren Angelegenheiten nachzugehen, blieb Nastja allein in Gordejews Büro zurück. Sie saß zusammengekauert in einer Ecke und drückte ein feuchtes Taschentuch in ihrer Hand zusammen. Gordejew sah sie mitfühlend an und schüttelte den Kopf.
»Nimmst du denn wenigstens Medikamente gegen deine Erkältung?«
»Nein. Ich nehme nie etwas ein.«
»Grundsätzlich nicht?«
»Grundsätzlich nicht. Mein Körper soll wissen, dass er von mir keine Hilfe zu erwarten hat. Er rechnet
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