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Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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erkennen und in ihrer monotonen Stimme unterdrückte Wut. Dann erfuhr er, dass die Filatowa an einem Buch arbeitete. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Nerven bereits aufs äußerste gespannt, die rätselhafte Frau zog ihn an wie das Licht die Motten, er benutzte jeden noch so geringen Anlass für eine Begegnung, um wieder und wieder die quälenden Zweifel zu durchleben und am Ende erleichtert aufzuatmen: Nein, sie weiß es doch nicht. Auch das Buch der Filatowa war Anlass für ein Gespräch.
    »Wann wollen Sie es denn schreiben?«, hatte der Auftraggeber sie gefragt. »Sie sind doch mit Ihrer planmäßigen Arbeit völlig ausgelastet.«
    »Ich verrate Ihnen ein kleines Geheimnis.« Sie hatte ihn offen und freundlich angesehen. »Das Buch ist schon fertig. Ich hatte früher bloß keine Gelegenheit, es zu veröffentlichen.«
    »Warum? Ist es so brisant?«, hatte er gescherzt.
    Sie hatte gelacht. »Nicht doch, überhaupt nicht. Aber ein Buch zu veröffentlichen ist praktisch unmöglich, wenn man ein Niemand ist und einen keiner kennt. Aber jetzt habe ich einen Namen und einen Ruf.«
    »Und wie wird Ihr Werk heißen?«
    »Bislang hat es nur einen Arbeitstitel: ›Kriminologie. Korruption. Macht.‹ In der Art.«
    »Und worum geht es, wenn man fragen darf?«
    »Das lässt sich nicht in zwei Worten erklären.« Sie runzelte die Stirn. »Wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen das Manuskript zum Lesen. Vielleicht können Sie mir dann auch gleich sagen, ob man es nicht gegen Honorar veröffentlichen könnte. Bei uns wird ja nichts gezahlt, wie Sie wissen. Abgemacht? Morgen bringe ich Ihnen den Text.«
    Sie war aufgestanden, um zu gehen. Der Auftraggeber war hastig aufgesprungen, zur Garderobe gestürzt, um ihr den Mantel zu reichen, und hatte mit dem Ellbogen den Aschenbecher umgerissen und die Kippen über den Tisch verstreut.
    »Aber, aber, nicht so nervös, Wladimir Nikolajewitsch«, hatte die Filatowa gesagt, die Hand auf der Türklinke. »Bis morgen.«
    Es war Februar, ein warmer Tag mit Schneematsch, im Zimmer war es trotz des weit offenen Lüftungsfensters stickig. Der Auftrageber spürte, dass seine Hände plötzlich eiskalt wurden. Sie wusste also doch Bescheid.
    Der Wagen bog vom Sadowoje-Ring auf die Kaljajewstraße ab.
    »Und jetzt?«, fragte Sacharow.
    »Immer geradeaus. Weißt du, ich bin froh, dass du mich gefunden hast.« Nastja berührte seine Schulter. »Wie bist du darauf gekommen?«
    »Das war nicht sonderlich schwer.« Dima lachte. »Dieser junge Schwarzäugige, arbeitet der in eurer Abteilung?«
    »Dozenko? Ja. Wieso?«
    »Der Junge ist gut.« Dima nickte anerkennend. »Versteht was von Befragungen. Kurze Sätze, kein Wort zu viel, keinerlei Druck. Nur ein sanfter Anstoß, den man kaum spürt. Obwohl ich stinksauer war, konnte ich die Unterhaltung im Auto fast wortwörtlich wiedergeben. Der Junge ist gut«, bekräftigte er noch einmal. »So einer ist für die Arbeit mit Zeugen unersetzlich.«
    »Ja«, bestätigte Nastja zerstreut, »unersetzlich. Trotzdem, warum hast du mich gesucht?«
    »Weiß ich selber nicht.« Sacharow zuckte die Achseln. »Sie tut mir Leid.«
    »Wer?«, fragte Nastja erstaunt.
    »Na sie – die Filatowa. So was Dummes!« Er lachte verlegen. »Ich kannte sie gerade mal eine halbe Stunde, was heißt, kannte – ich hab sie nicht mal nach ihrem Namen gefragt, hab ihretwegen drei Tage in einer Zelle gesessen, und auf einmal ist mir klar geworden, dass sie mir Leid tut.«
    »Und du hast zwei Stunden auf der Straße auf mich gewartet, um mir das mitzuteilen?«
    »Wenn ich ganz ehrlich bin, dann wollte ich dir sagen, dass ich mich gern nützlich machen würde. Ihr von der Petrowka seid natürlich alle schlau und erfahren, aber wer weiß. Vielleicht könnt ihr mich gebrauchen. Mir hat noch nie ein Opfer so Leid getan wie sie. Offenbar hat sie irgendetwas in mir berührt. Also, wenn was sein sollte . . .«
    »Danke. Ganz rührend«, sagte Nastja trocken. »Jetzt rechts zur Brücke. Ist dir eigentlich klar, dass der Verdacht gegen dich selbst noch nicht endgültig ausgeräumt ist?«
    »Was soll’s, das halt ich aus«, erwiderte Dima friedfertig. »Ein schönes Viertel, grün und ruhig. Wohnst du hier?«
    »Nein, meine Eltern. Ich wohne in der Schtscholkowskaja.«
    Beim Abschied hielt Dima Nastjas Hand fest und sah sie aufmerksam an.
    »Du hast dich überhaupt nicht verändert. Immer noch das Mädchen in Jeans und mit langem Pferdeschwanz. Wie alt bist du jetzt?«
    »Zweiunddreißig.« Nastja

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