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Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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nebeneinander lagen und sie sich zwanzigmal am Tag sahen. Aber als er sich das nächste Mal mit der gleichen Bitte an sie wandte, da sagte sie: ›Wolodja, du bist ein netter Junge, aber Geld kriegst du von mir keins. Du bist unzuverlässig und hast mein Vertrauen verloren.‹ Stellen Sie sich das mal vor, vor aller Ohren. Das sagt doch alles über sie.«
    »Wir haben uns gewundert, warum Irina keine Habilitationsarbeit schrieb. Keiner bezweifelte, dass sie das schaffen würde. Aber sie hat sich immer scherzhaft rausgeredet, sie wolle sich noch nicht begraben lassen, sie habe sich noch nicht ausgetobt. Klar, das kann man verstehen: Solange im Rat unsere Alten saßen, die selber erst mit fünfzig ihren Habil gemacht haben, hatte sie keine Chance – zu jung. Aber unser Chef hatte sie inzwischen wohl doch so weit, besonders, nachdem die Anforderungen für die Besetzung leitender Positionen angehoben wurden. Jedenfalls steht im Institutsplan für zweiundneunzig eine Monographie von ihr.«
    »Irina Sergejewna reagierte sehr empfindlich darauf, dass im Ministerium die Wissenschaft nicht für voll genommen wurde. Sie hatte eine Selbstbeherrschung, die man jedem nur wünschen kann, aber auch ein ungeheures Temperament. Im Ministerium hörte sie sich die Gemeinheiten über sich persönlich und über das ganze Institut mit zusammengebissenen Zähnen an, aber in meinem Büro hat sie dann alles rausgelassen. Besonders schlimm war es in den letzten zwei, drei Monaten, seit Pawlow vom Stab des Innenministeriums ständig an ihr herumkrittelte. Er hat ihr mehrfach Dokumente zum Überarbeiten zurückgegeben, und das ihr, für die im ganzen Leben noch nie jemand etwas umarbeiten musste. Sie können mir glauben, wenn es geniale Kriminologen gibt, dann gehörte sie dazu. Dieser Pawlow dagegen ist ein ungebildeter Klotz, verwechselt Kriminologie mit Kriminalistik und schreibt ›Perspektive‹ mit vier Fehlern. Ich als Chef habe alles getan, um Irina Sergejewna vor ihm zu schützen, aber da war nichts zu machen! Die Arme war ganz geknickt und sagte einmal sogar zu mir: »Wahrscheinlich werden wir wirklich nicht gebraucht. Ich bringe noch mein Buch raus, und dann gehe ich in den Journalismus.‹«
    Bevor Nastja nach Hause ging, hinterließ sie im Büro von Larzew und Korotkow einen Zettel mit dem lakonischen Text:
    »Pawlow aus dem Russischen Innenministerium. Eilt nicht, nur für das Gesamtbild. Küsschen. A. K.«
    Der Auftraggeber empfand keine Unruhe. Nur eine leichte Gereiztheit. Er wusste bereits, dass nach der Ausführung des Auftrags unvorhergesehene Komplikationen eingetreten waren, dass nun nicht ein Unfall, sondern ein Mord untersucht wurde. Aber das spielte für ihn im Grunde keine Rolle. Die Ermittlungen stellten für ihn persönlich keinerlei Gefahr dar. Die Hauptsache war: Die Filatowa war tot.
    Der Auftraggeber erinnerte sich an die erste Begegnung mit ihr vor fast einem halben Jahr, im Januar. Sie hatte ruhig und konzentriert vor ihm gesessen, bereit, sich seine Überlegungen anzuhören und sie zu durchdenken. Er aber war unkonzentriert gewesen, hatte sich ständig verheddert und die ganze Zeit auf ihre Hände gestarrt, um wenigstens ein winziges Anzeichen von Erregung zu entdecken, Wusste sie Bescheid oder nicht – diese Frage hatte den Auftraggeber gequält. Wer hätte denn ahnen können, dass sie sich auf diese Weise begegnen würden? Hin und wieder hatte sie die Augen aufgeschlagen und gelächelt; wie ihm schien, auf besondere Art, voller Hintergedanken, aber er hatte sich zur Ordnung gerufen, versucht, sich zu beruhigen und sich auf das Wesen der Sache zu konzentrieren, die sie besprachen. Sie aber schien seine Erregung gar nicht zu bemerken, auch ihre Hände zitterten nicht.
    Nach der ersten Begegnung vergaß der Auftraggeber seine Ängste schnell. Er war überzeugt, die Frauen gut zu kennen: Eine Frau kann sich nicht lange zurückhalten und schweigen. Wenn sie Bescheid wüsste, wer er war, oder es zumindest ahnte, dann hätte sie sich verraten.
    Dann trafen sie sich ein zweites und ein drittes Mal. Die Umstände ergaben, dass sie sich im Februar fast jede Woche sahen. Der Auftraggeber forschte in ihrem Gesicht, achtete auf ihren Gang, lauschte ihrer ruhigen, fast ausdruckslosen Stimme und entdeckte keinerlei Anzeichen von Nervosität. Nein, sie weiß es nicht, seufzte er erleichtert, doch schon im nächsten Augenblick glaubte er aus ihren Scherzen einen bösen Sarkasmus herauszuhören, in ihrem Lächeln Spott zu

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