Anastasija 06 - Widrige Umstände
Dafür habe ich Rätsel über Rätsel. Aber wir werden verfahren wie abgesprochen.«
»Gut.« Gordejew wurde sofort sanfter. »Jetzt zu Kowaljow. Hier, lies mal.«
Er schob Nastja den Bericht hin. Sie las eine Weile aufmerksam, dann stieß sie einen langen Pfiff aus.
»Donnerwetter! Für unseren Rudnik interessieren sich außer uns noch zwei weitere Beobachter. Der ist ja beliebt!«
»Hoffentlich kommen wir beide nicht zu spät, Nastenka. Rudnik ist zum Flughafen gefahren. Hoffentlich will er nicht weg. Die Überwacher haben versprochen anzurufen, sobald das klar ist. Wenn er verreist, ist unser ganzer Plan im Eimer. Dann müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Wir können nicht warten, bis er zurück ist.«
Jemand klopfte an die Tür. Kolja Selujanow steckte seinen Kopf herein.
»Wieso klopfst du an?«, schimpfte Gordejew. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass sich das bei einem Dienstbüro nicht gehört? Damit deutest du nämlich an, dass darin etwas vorgehen könnte, das irgendwie . . .« Er machte eine zweifelnde Handbewegung.
»Um Gottes willen, Viktor Alexejewitsch, das lag mir völlig fern. Reiner Reflex«, rechtfertigte sich Selujanow. »Ich war einen Monat im Ferienheim, und da, Sie wissen ja, da muss man anklopfen.«
»Das lag ihm völlig fern«, Gordejew knurrte noch immer. »Wegen solchen wie dir entstehen Gerüchte. Das war hoffentlich das letzte Mal. Was gibt’s?«
»Da ist ein Doktorand der Filatowa, er hat eine Mappe gebracht. Soll er sie mir geben, oder wollen Sie selbst mit ihm sprechen?« Er sah Nastja fragend an.
Sie stand sofort auf.
»Ich gehe, Viktor Alexejewitsch, darf ich? Wenn etwas ist, ich bin an meinem Platz.«
»Was ist das?«, fragte Nastja und schlug eine dicke grüne Mappe auf.
»Die Monographie von Irina Sergejewna. Ich schreibe eine Dissertation zu Kennziffern der Kriminalität, und sie hatte sie mir zum Lesen gegeben; sie enthält interessante Überlegungen zur latenten Kriminalität.«
Das Exemplar war kaum lesbar, wahrscheinlich der vierte Durchschlag. Interessant, wo waren die anderen drei?
»Haben Sie das schon lange?«
»Schon lange, sie hat es mir kurz nach Neujahr gegeben. Ich hätte es Ihnen schon früher gebracht, aber ich dachte, da Sie ja sowieso die ersten drei Exemplare haben, brauchen Sie dieses nicht. Aber gestern habe ich erfahren, dass Ihr Mitarbeiter nach der Monographie von Irina Sergejewna gefragt hat.«
»Wie heißen Sie?«
»Anton.«
»Sehr angenehm. Also, Anton, Sie wissen nicht zufällig, wo die anderen Exemplare sind? Wir haben sie nicht gefunden.«
»Wie?« Anton war aufrichtig verwundert. »Sie lagen alle zusammen, alle vier Exemplare, in grünen Mappen. Irina Sergejewna hat sie in meinem Beisein aus dem Safe genommen. Sie hat gesagt, drei Exemplare gingen an die Redaktion, das vierte könne ich behalten, solange ich es brauchte. Wo sind die anderen denn hin?«
Nastja zuckte unbestimmt die Achseln.
»Sagen Sie, Anton, waren Sie mal in Ensk?«
»Natürlich.« Er lächelte breit.
»Hat Irina Sergejewna Sie vielleicht gebeten, ihr von dort die Ermittlungsstatistik mitzubringen?«
Nastja stellte die Frage nur pro forma, denn die Antwort kannte sie bereits. Doch Antons Reaktion missfiel ihr. Er wirkte angespannt, wie ein Tier, das eine Gefahr wittert.
»Also, Anton? Hat sie, ja oder nein? Versuchen Sie gar nicht erst, mich anzulügen, ich weiß, dass sie Sie darum gebeten hat. Und ich weiß, welche Zahlen Sie ihr von dort mitgebracht haben. Diese hier, nicht wahr?«
Nastja reichte ihm das Blatt der Filatowa. Anton warf einen flüchtigen Blick darauf und nickte wortlos.
»Warum ist dieses Gespräch Ihnen so unangenehm?«, fragte Nastja sanft. »Was Sie getan haben, ist nicht ungesetzlich oder unanständig.«
Anton schwieg störrisch und sah an Nastja vorbei.
»Gut, lassen wir das«, sagte Nastja. »Wann haben Sie Irina Sergejewna diese Statistik mitgebracht?«
»Letzten Sommer, im August«, sagte Anton, sichtlich erleichtert.
»Versuchen Sie sich bitte zu erinnern, wie das war. Wie hat sie ihre Bitte formuliert? Hat sie Ihnen vielleicht etwas erklärt?«
»Sie hat gefragt, wohin ich in nächster Zeit Dienstreisen plane. Ich sagte, nach Kemerowo. Und sie: ›Schade. Nach Ensk fahren Sie nicht?‹ Ich antwortete, das hätte ich im November vor, aber wenn nötig, könne ich es auch umgekehrt machen, das spiele keine große Rolle. Na, und sie hat gesagt, sie wäre mir sehr dankbar, wenn ich erst nach Ensk fahren würde,
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