Anastasija 06 - Widrige Umstände
sich selbst verlässt, lebt man irgendwie ruhiger. In diesem beschissenen Leben kann man niemandem trauen, nur sich selber. Stimmt doch, oder?«
»Wahrscheinlich«, stimmte der Gallier ihr zu.
»Na siehst du«, sagte sie zufrieden. »Du bist genauso ein einsamer Wolf wie ich. Weil du weißt, dass das sicherer ist.«
Der Gallier schwieg. Nach dem Stress der letzten Tage wollte er sich gern wenigstens für eine Weile entspannen. Einfach in der warmen Küche sitzen, mit dieser rothaarigen Larissa über Gott und die Welt reden, ohne Hast, freundlich und intim.
»Das ist der Mörder«, sagte Gordejew entschieden. »Was meint ihr?«
»Ich bin dafür, ihn festzunehmen, bevor es zu spät ist«, äußerte Dozenko.
»Ich finde, sie sollten sich noch ein bisschen unterhalten«, widersprach Korotkow. »Die Atmosphäre ist durchaus friedlich. Vielleicht erfahren wir ja etwas Interessantes.«
»Aber sie ist doch da ganz allein mit einem Mörder!«, rief Dozenko erregt. »Wie könnt ihr so ruhig sein?«
»Und er ist dort ganz allein mit Anastasija. Sagt dir das gar nichts? Wir warten«, resümierte der Oberst.
Sie tranken bereits die zweite Tasse Kaffee. Nastja wechselte die Pose und rieb sich ihr vom langen Sitzen eingeschlafenes Bein. Schon über eine Stunde plauderten sie ruhig und freundschaftlich über nichts, erörterten die Vor- und Nachteile von Automarken, Kognaksorten und Urlaubsorten am Meer. Nastja betrachtete das Gesicht ihres Gegenübers und staunte, wie normal es aussah, auf ganz eigene Art sogar anziehend. Wer hatte von den leeren, kalten Augen eines Mörders gesprochen? Alles Quatsch, dachte sie. Ein ganz normaler Mann, mit ganz normalen Augen und einem angenehmen Lächeln. Er ist ruhig und ernst, als täte er seine Arbeit. Na ja, tut er im Grunde ja auch. Es ist Zeit, entschied sie. Tauschen wir das Zuckerbrot gegen die Peitsche. Er hat sich lange genug entspannt.
»Hör mal, Michrjutka, du stinkst nach Köter. Wäschst du dich etwa nicht?«
Der Wechsel von Freundlichkeit zum unverhüllten Angriff kam so abrupt, dass der Gallier zusammenzuckte und rot wurde.
»Geh dich doch duschen«, schlug Nastja vor.
»Und was machst du derweil? Die Miliz anrufen? Oder meine Tasche durchwühlen? Du hältst mich wohl für extrem blöd«, sagte er böse.
»Wenn du willst, komme ich eben mit. Passe auf, dass du nicht ertrinkst. Was guckst du so? Meinst du, ich hätte noch nie einen nackten Mann gesehen? Na los, komm«, sie stand vom Sofa auf, »ab ins Bad. Du musst dich doch selber ekeln.«
Nastja verfolgte ein zweifaches Ziel. Zum einen wollte sie ihn demütigen und zwingen, sich zu rechtfertigen. Und außerdem wollte sie über etwas sprechen, was sie in der Küche nicht erwähnen durfte, um den Gallier nicht misstrauisch zu machen.
Der Gallier stand widerwillig auf, ließ die Hausherrin vorgehen und folgte ihr ins Bad. Er zog sich bis auf den Slip aus, legte Jeans und Hemd ordentlich auf die Waschmaschine und blieb unschlüssig stehen.
»Dreh dich um.«
»Das hättest du wohl gern! Damit du mir von hinten eins überziehst? Ein ganz Schlauer.«
»Ich habe doch gesagt, ich brauche dich lebendig.«
»Du kannst mir viel erzählen. Du traust mir ja auch nicht, warum sollte ich dir trauen?«
Sie drehte das Wasser auf. Na los, mach schon, trieb Nastja ihn in Gedanken an, ein nackter Mann ist ein schlechter Kämpfer, er kann seine Würde nicht wahren.
»Nun steig schon in die Wanne«, sagte sie ärgerlich, »tu nicht so keusch. Zieh einfach den Vorhang zu, und gut.«
»Wozu hat sie ihn ins Bad geschleppt?«, fragte Korotkow unzufrieden. »Man hört ja nichts.«
»Genau darum«, antwortete Gordejew geheimnisvoll, denn er durchschaute Nastjas Manöver. »Wenn sie aus dem Bad kommen, dann bitte äußerste Aufmerksamkeit. Sie wird möglicherweise versuchen, uns etwas mitzuteilen. Offenkundig argwöhnt er, dass wir sie belauschen. Er sagt nichts, was ihn belasten könnte, er ist sehr vorsichtig.«
Der Gallier genoss das warme Wasser, das über seinen Körper floss. Sie ist gar nicht so übel, dachte er, schade, dass ich sie umbringen muss. Zwei einsame Wölfe. Aus ihnen hätte was werden können.
»Und, Michrjutka?«, vernahm er ihre Stimme hinter dem undurchsichtigen Plastikvorhang. »Schön, oder?«
»Ja«, sagte er, ohne sein Behagen zu verhehlen.
»Und du wolltest erst nicht.« Sie lachte leise. »Hör mal, kann ich dich was fragen?«
Der Gallier wurde misstrauisch; er drehte für alle Fälle den Wasserhahn
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