Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
das Glücksspiel?
Aus dem Auto hatte Selujanow einen freien Blick auf die Haustür und auf das geöffnete Fenster zu Sascha Strelnikows Wohnung. Er lehnte sich entspannt im Sitz zurück und wollte sich gerade eine Zigarette anstecken, als er draußen drei junge Männer erblickte, die er gut kannte. Unauffällige Regenjacken, dunkle Hosen, ein absichtlich schwerfälliger, nachlässiger Gang. Kolja verließ das Auto und schlüpfte rasch in den nächsten Hauseingang, nachdem er sich vorher davon überzeugt hatte, dass die drei Männer ihn bemerkt hatten. Ein paar Minuten später standen sie bereits neben ihm.
»Kommt ihr mir etwa zu Hilfe?«, erkundigte sich Kolja skeptisch.
»So ungefähr«, erwiderte einer der drei. »Was machen die beiden Kinder?«
»Ich nehme an, sie turteln. Bis zum Beginn ihres allabendlichen bourgeoisen Amüsements in der Spielhölle ist noch Zeit. Seid ihr wirklich gekommen, um mich abzulösen?«
»Nicht ganz. Wir müssen die beiden um neun Uhr bei der Staatsanwaltschaft abliefern. Wir warten bis acht Uhr und greifen dann zu.«
»Wie das?«, fragte Selujanow erstaunt. »Ist etwas passiert? Heute Morgen war von einer Verhaftung noch nicht die Rede. Und es liegt doch gar nichts gegen sie vor. Oder hat sich das inzwischen geändert?«
»Wir werden sie auch nicht verhaften, sondern nur höflich bitten, uns zu begleiten. Olschanskij möchte sich mit ihnen unterhalten, aber nicht früher als um exakt neun Uhr. Danach können sie wieder gehen.«
»Vielleicht auch nicht«, erwiderte der zweite operative Beamte. »Vielleicht wird man sie nach dem Gespräch verhaften.«
»Und warum ausgerechnet um neun Uhr?«, fragte Selujanow argwöhnisch nach. »Warum nicht gleich? Was soll das? Ihr verschweigt mir etwas, Jungs. Das ist eine Schweinerei.«
»Unsinn«, winkte der erste Beamte ab. »Olschanskij hat angeordnet, dass für acht Uhr irgendwelche anderen Leute in sein Büro gebracht werden sollen, die werden gerade von Korotkow und Dozenko abgeholt. Es wird ja eine Weile dauern, bis man sie alle gefunden und an Ort und Stelle gebracht hat. Nichts als Scherereien . . . Olschanskij wird ein Stündchen mit ihnen plaudern, und pünktlich um neun kommen dann die zwei Kinder dazu.«
»Dann ist es ja gut«, sagte Kolja besänftigt. »Braucht ihr mich?«
»Wir schaffen es allein«, meinte derjenige, der bis jetzt noch kein Wort gesagt hatte. »Aber du kannst dich natürlich beteiligen, wenn du willst.«
»Ich habe da etwas zu klären, ich fahre mal schnell los. Bis acht bin ich wieder da. Seid ihr einverstanden?«
»Geht klar. Wenn du nicht zurückkommst, gehen wir ohne dich. Dritter Stock, Wohnung sechsundsiebzig, richtig? Wir kennen die beiden und werden sie nicht verpassen, falls sie vorher das Haus verlassen.«
Selujanow drückte seinen Kollegen die Hand, stieg wieder in seinen Wagen und fuhr los, um das zu klären, was ihm vor ein paar Stunden in den Sinn gekommen war und keine Ruhe mehr ließ.
* * *
In Olschanskijs Büro war es still und stickig. In dem kleinen Raum befanden sich eindeutig zu viele Menschen, aber Olschanskij konnte sich nicht entschließen, das Fenster zu öffnen, weil es draußen stürmte und regnete. Der Untersuchungsführer saß hinter seinem Schreibtisch, die Gäste, Wjatscheslaw Petrowitsch Tomtschak, Wladimir Alexejewitsch Strelnikow, Genadij Fjodorowitsch Leontjew mit seiner Frau und Viktor Alexandrowitsch Derbyschew, hatten an einem zweiten Tisch Platz genommen. Nastja hatte sich in einem alten, durchgesessenen Sessel in der Ecke niedergelassen und verfolgte von dort aus gespannt die Vorgänge. Allerdings war bis jetzt noch nichts passiert. Vor einer Dreiviertelstunde hatte Konstantin Michailowitsch das Gespräch eröffnet.
»Meine verehrten Damen und Herren. Im Verlauf unserer Ermittlungen in den Mordfällen Ihrer Freundin, Wladimir Alexejewitsch, und Ihrer Frau, Wjatscheslaw Petrowitsch, haben wir festgestellt, dass in diese Verbrechen jemand verwickelt ist, der unter dem Namen von Herrn Derbyschew auftritt. Ich wiederhole: Jemand, der sich hinter dem Namen von Viktor Alexandrowitsch Derbyschew versteckt, ist an den Morden beteiligt, die an Ljudmila Schirokowa und an Larissa Tomtschak begangen wurden. Wer dieser Mann ist, weiß ich nicht. Und ich möchte, dass Sie mir diese Frage beantworten.«
Eine Weile herrschte betretenes Schweigen. Als Erste fasste sich Anna Leontjewa.
»Was heißt, jemand versteckt sich hinter dem Namen dieses . . . dieses Herrn da? Wollen Sie
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