Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
nur noch ein Kettenglied zwischen ihnen blieb. Aber direkt waren sie sich dennoch nie begegnet und hatten auch keine gemeinsamen Feinde.
»Nun, dann sehen wir uns jetzt die individuellen Feinde an«, sagte Olschanskij. »Beginnen wir mit Ihnen, Viktor Alexandrowitsch. Und die anderen bitte ich, genau zuzuhören und besonders auf jeden einzelnen Namen zu achten, der genannt wird.«
Allem Anschein nach hatte Derbyschew keine Feinde. Er nannte zwar einige Namen, aber sobald sich der Grund für den Konflikt herausstellte, wurde jedes Mal klar, dass es sich nicht um das handelte, worum es hier ging.
»Und Ihr Sohn?«, insistierte der Untersuchungsführer. »Soviel ich weiß, ist Ihre Beziehung zu ihm mehr als angespannt.«
»Was hat mein Sohn mit der Sache zu tun?«, brauste Derbyschew auf. »Ich habe keinen Kontakt zu ihm.«
»Eben«, sagte Olschanskij. »Da er nichts von Ihnen wissen will, scheint er Ihnen sehr böse zu sein.«
»Vermuten Sie etwa, dass Viktor . . .? Das ist doch Humbug. Er will tatsächlich nichts von mir wissen, aber was hat das mit den hier anwesenden Personen zu tun?«
»In der Tat gar nichts«, seufzte Konstantin Michailowitsch. »Anastasija Pawlowna, was sagen Sie dazu?«
»Sie haben Recht. Viktor Alexandrowitschs Sohn hat weder die Schirokowa noch Larissa Michajlowna gekannt. Er hatte keinen Grund, sie umzubringen.«
»So ist es«, ereiferte sich Derbyschew. »Lassen Sie den Jungen in Ruhe.«
»Gut, wir lassen ihn in Ruhe. Aber was ist mit seiner Schwester? Könnte es nicht sein, dass sie Sie insgeheim hasst? Immerhin hat ihre Mutter sich das Leben genommen, nachdem Sie sie verlassen haben.«
»Hören Sie auf, in der schmutzigen Wäsche anderer Leute herumzuwühlen. Sie sollten sich schämen! Ja, ich habe mich von ihrer Mutter getrennt, na und? Tausende von Männern verlassen ihre Frauen, deshalb passiert noch lange kein Unglück. Wenn Sie es genau wissen wollen: Ich habe Nadeschda verlassen, weil sie äußerst unausgeglichen war, unter Depressionen und starken Stimmungsschwankungen litt. Ich wundere mich selbst, dass ich es so lange mit ihr ausgehalten habe. Natascha hat das übrigens sehr gut verstanden. Viktor hat mir natürlich nicht verziehen, aber Natascha ist eine erwachsene Frau, mit ihr bin ich bis heute in Verbindung. Auch sie hatte es schwer mit ihrer Mutter, und als ich ging, beneidete Natascha mich sogar. Wenn ich könnte, sagte sie, würde ich auch gehen, aber eine Mutter ist eben eine Mutter.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie nach wie vor Kontakt zu Natascha unterhalten?«
»Natürlich. Sie ruft mich oft an, und wir treffen uns häufig. Wir haben sehr lange zusammengelebt, und in dieser Zeit ist eine sehr herzliche Beziehung zwischen uns entstanden. Viktor ist noch ein Kind, er neigt zu jugendlicher Unbedingtheit, aber Natascha ist sehr viel erwachsener und klüger. Sie nimmt sogar finanzielle Unterstützung von mir an, allerdings heimlich, damit Viktor nichts davon erfährt.«
»So ist das also«, sagte Olschanskij nachdenklich.
Nastja hörte interessiert zu. Alles, was Derbyschew eben gesagt hatte, war der Kripo bereits bekannt, denn im Rahmen der Ermittlungen hatte man natürlich auch Viktor Derbyschew und seine ältere Schwester befragt. Diese hatte sich über Viktors Vater sehr positiv und wohlwollend geäußert, jedenfalls war das der Eindruck des Kollegen gewesen, der sich mit ihr unterhalten hatte. Es handelte sich um einen Revierbeamten, dem Nastja voll und ganz vertraute. Er hatte den Kollegen von der Petrowka zugearbeitet und einige Aufgaben bei den Nachforschungen über Derbyschew senior übernommen, während dieser in U-Haft war.
Nastja warf einen Blick auf die Uhr. Es war drei Minuten vor neun. Gleich würden Strelnikows Sohn und seine nirgends gemeldete Freundin Natascha Sagrebina erscheinen. Wladimir Alexejewitsch würde sich freuen . . .
* * *
Selujanow jagte seinen Wagen durch die dunklen, nassen Straßen. Er hoffte, die Staatsanwaltschaft vor dem Eintreffen des spielsüchtigen Pärchens zu erreichen. Es war genau so, wie er vermutet hatte. Er hatte es längst gefühlt, und jetzt schimpfte er sich einen Dummkopf, weil er seinen Verdacht nicht schon viel früher überprüft hatte. Ihm blieb nur noch sehr wenig Zeit, aber er wollte Olschanskij nicht aus der Telefonzelle anrufen. Solche Nachrichten musste man persönlich überbringen, aber es sah so aus, als hätte er keine Wahl. Bis neun Uhr würde er es nicht schaffen. Oder sollte er es doch
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