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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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sie vielleicht einundneunzig oder hundertdrei Minuten für eine Umkreisung. Indem er ihre Umlaufzeiten festhielt und genügend Beobachtungen anstellte, führte Orolo womöglich eine Art …«
    »Erhebung durch«, sagte ich. »Eine Liste aller Vögel, die da oben kreisten.«
    »Auf dieser Grundlage konnte er dann jede Veränderung, jede Unregelmäßigkeit – falls es welche gab – sofort erkennen. Aber bis zum Abschluss dieser Erhebung, wie du sie nennst …«

    »Er hat im Dunkeln gearbeitet, und zwar in mehr als einer Hinsicht, nicht wahr?«, sagte ich. »Er sah einen Vogel über den Pol fliegen, wusste aber nicht, welcher es war oder ob er irgendetwas Ungewöhnliches an sich hatte.«
    »Deshalb müssen wir, wenn das zutrifft, in seine Fußstapfen treten«, sagte Jesry. »Dein erstes Ziel sollte es sein, eine solche Erhebung durchzuführen.«
    »Für mich ist das viel leichter, als es für Orolo war«, sagte ich. »Ein Blick auf die Tafel zeigt, dass manche der Spuren weiter auseinanderliegen – größere Kuchenstücke bilden – als andere. Das müssen die Hochflieger sein.«
    »Wenn du dich erst einmal daran gewöhnt hast, diese Bilder zu betrachten, wirst du vielleicht in der Lage sein, Unregelmäßigkeiten allein an ihrer Gesamterscheinung zu erkennen«, mutmaßte Jesry.
    Er hatte leicht reden, schließlich war er nicht derjenige, der es tat!
    Die letzten paar Minuten hatte er einen rastlosen und gelangweilten Eindruck gemacht. Jetzt brach er den Augenkontakt ab und ließ den Blick durchs Refektorium wandern, als wäre er auf der Suche nach jemand Interessanterem – doch dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. »Neues Thema«, verkündete er.
    »Einverstanden. Gib Namen dazu an«, antwortete ich, aber falls ihm klar war, dass ich ihn veräppelte, ließ er es sich nicht anmerken.
    »Fraa Paphlagon.«
    »Der Hunderter, der evoziert wurde.«
    »Ja.«
    »Orolos Mentor.«
    »Ja. Die Waage sagt, dass es zwischen dieser Evokation und den Schwierigkeiten, in die Orolo geraten ist, einen Zusammenhang geben muss.«
    »Erscheint plausibel«, sagte ich. »Ich glaube, so etwas habe ich auch schon vermutet.«
    »Normalerweise hätten wir keine Möglichkeit zu wissen, an was ein Hunderter arbeitet – jedenfalls nicht bis zur nächsten Jahrhundertapert. Aber ehe Paphlagon vor zweiundzwanzig Jahren ins Obere Labyrinth ging, schrieb er ein paar Abhandlungen, die bei der Jahrzehntapert 3670 in die Welt hinausgesandt wurden. Zehn Jahre später und dann wieder vor ein paar Monaten bekam unsere Bibliothek ihre üblichen Jahrzehntlieferungen. Dieses ganze Zeug
bin ich nun durchgegangen auf der Suche nach irgendetwas, das auf Paphlagons Werk verweist.«
    »Kommt mir ganz schön indirekt vor«, bemerkte ich. »Wir haben doch Paphlagons gesammelte Werke hier, oder?«
    »Klar. Aber danach suche ich ja gar nicht«, sagte Jesry. »Mich interessiert viel mehr, wer da draußen sein Augenmerk auf Paphlagon gerichtet hat. Wer hat seine Werke von 3670 gelesen und seine Ansichten interessant gefunden? Weil …«
    »Weil irgendjemand «, spann ich, dem es allmählich dämmerte, den Faden weiter, »irgendjemand draußen in der säkularen Welt gesagt haben muss: ›Paphlagon ist unser Mann – schnappt ihn euch und bringt ihn her!‹«
    »Ganz genau.«
    »Und was hast du gefunden?«
    »Das ist es ja«, sagte Jesry. »Wie sich herausstellt, hatte Paphlagon in gewisser Hinsicht zwei Berufe.«
    »Wie meinst du das – so was wie eine Nebenbeschäftigung?«
    »Du könntest sagen, seine Nebenbeschäftigung war die Philosophie. Metatheorik. Prokier würden es vielleicht sogar eine Art von Religion nennen. Auf der einen Seite ist er ein richtiger Kosmograph, der dieselben Sachen macht wie Orolo. In seiner Freizeit beschäftigt er sich jedoch mit großen Ideen, und das schreibt er dann auf – und Leute draußen haben es bemerkt.«
    »Was für Ideen?«
    »Darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen«, sagte Jesry.
    »Ach, verdammt noch …«
    Er machte eine beschwichtigende Geste. »Lies es selbst! Darum geht es mir gar nicht. Mir geht es darum, herauszufinden, wer ihn sich ausgesucht hat und warum. Es gibt doch eine Menge Kosmographen, oder?«
    »Klar.«
    »Wenn er also evoziert wurde, um kosmographische Probleme zu lösen, muss man sich fragen …«
    »Warum ausgerechnet er?«
    »Genau. An dem metatheorischen Zeug, für das er sich interessierte, arbeiten dagegen nur wenige.«
    »Ich verstehe, worauf du hinauswillst«, sagte ich. »Die

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