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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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…«
    »Damit wir bewusst sind. Und unsere Sinneswahrnehmungen in ein zusammenhängendes Modell von uns selbst und der uns umgebenden Welt einfügen.«
    »Ist das dieses makronische Zeug, von dem du vorhin gesprochen hast?«
    Arsibalt nickte. »In erster Näherung, ja. Es ist post-makronisch. Gewisse Metatheoriker, die stark von den Makronikern beeinflusst waren, entwickelten später, um den Ersten Vorboten herum, Argumente wie dieses.« Womit er etwas mehr Details lieferte, als Ferman Beller eigentlich hören wollte. Aber Arsibalt zwinkerte mir mehrmals zu, wie um zu bestätigen, was ich bereits vermutet hatte: Über diese Dinge hatte er sich im Verlauf seiner Forschungen über Evenedriks Arbeit in dessen späten Jahren einiges angelesen. Ich lungerte am Rand dieses Dialogs herum, bis er abzuflauen begann. Dann stand ich auf und machte mich schnurstracks auf den Weg zu meinem Stockbett, wo ich gut und fest zu schlafen gedachte. Doch Arsibalt verfolgte mich mit einer für ihn untypischen Geschwindigkeit aus dem Speisesaal hinaus und holte mich ein.
    »Was hast du auf dem Herzen?«, fragte ich ihn.
    »Ein paar von den Hundertern haben unmittelbar vor dem Essen eine kleine Kalka angestellt.«
    »Das habe ich mitbekommen.«
    »Ihre Zahlen sind einfach nicht aufgegangen.«
    »Was für Zahlen?«
    »Dieses Raumschiff ist einfach nicht groß genug, um innerhalb einer vernünftigen Zeitspanne von einem Sternensystem zu einem anderen zu fliegen. Es kann unmöglich eine genügend große Anzahl an Atombomben aufnehmen, um seine eigene Masse auf relativistische Geschwindigkeit zu beschleunigen.«
    »Tja«, sagte ich, »vielleicht hat es sich von einem Mutterschiff abgekoppelt, das wir noch nicht gesehen haben und das tatsächlich diese Größe hat.«

    »So sieht es nicht aus«, widersprach Arsibalt. »Es ist riesig und bietet Platz, um Zehntausende von Leuten auf unbestimmte Zeit unterzubringen.«
    »Zu groß für eine Raumfähre – und zu klein für interstellare Reisen«, sagte ich.
    »Eben.«
    »Und dennoch scheinst du mir eine Menge Vermutungen anzustellen.«
    »Das ist eine berechtigte Kritik«, sagte er achselzuckend. Aber ich wusste, dass er noch eine andere Hypothese auf Lager hatte.
    »Also gut. Was denkst du?«, fragte ich ihn.
    »Ich glaube, dass es aus einem anderen Kosmos kommt«, sagte er, »und dass deshalb Fraa Paphlagon evoziert wurde.«
    Wir standen vor der Tür meiner Zelle.
    »Das Universum, in dem wir leben, verwirrt mich ja schon genug«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob ich es zu dieser späten Stunde fertigbringe, noch über weitere nachzudenken.«
    »Dann gute Nacht, Fraa Erasmas.«
    »Gute Nacht, Fraa Arsibalt.«
     
    Als ich aufwachte, läuteten Glocken. Ich konnte mir nicht erklären, was das bedeutete. Dann fiel mir wieder ein, wo ich war, und ich begriff, dass es nicht unsere Glocken waren, sondern die der Mönche, die sie zu einem mörderisch frühen Ritual riefen.
    Mein Kopf war halbwegs aufgeräumt. Viele der neuen, tags zuvor aus allen Richtungen auf mich einstürzenden Ideen, Ereignisse, Personen und Bilder waren verstaut worden, wie Blätter, die man aufgerollt und in Sortierfächer gesteckt hatte. Wirklich erledigt war natürlich noch nichts. Alle Fragen, die offen gewesen waren, als mein Kopf aufs Kissen gesunken war, standen immer noch zur Beantwortung an. Doch in den dazwischenliegenden Stunden hatte mein Gehirn sich verändert und auf die neue Form meiner Welt eingestellt. Ich vermute, dass wir deshalb nichts anderes tun können, während wir schlafen: Das ist die Zeit, in der wir am härtesten arbeiten.
    Das Geläut verhallte langsam, bis ich nicht mehr sagen konnte, ob ich die Glocken selbst oder das Klingen in meinen Ohren hörte. Was blieb, war ein tiefer Ton, stabil, gleichbleibend, aber leise, da weiter entfernt. Irgendwie wusste ich, dass ich ihn schon stundenlang
gehört hatte – dass ich ihn in jenem halbwachen Zustand beim Umdrehen oder Hochziehen der Decke bemerkt und mich, bevor ich wieder einschlief, gefragt hatte, was das war. Eine naheliegende Vermutung wäre irgendein Nachtvogel. Für eine Vogelkehle war der Ton jedoch zu tief: wie wenn jemand eine zehn Fuß lange, zur Hälfte mit Steinen und Wasser gefüllte Flöte spielt. Außerdem neigten Vögel nicht dazu, die halbe Nacht auf einer Stelle zu sitzen und Lärm zu machen. Dann vielleicht ein großes Amphibienmännchen, das verrückt nach einer Gefährtin auf einem Fels an der Quelle kauerte und Wind durch einen

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