Anathem: Roman
Fest. Orithenische Suurs pflückten in dem Graben entlang der Straße Unmengen von unkrautartigen Blumen und flochten sie zu Girlanden. Die Soldaten kamen in Stimmung, beschafften aus dem Nichts Alkohol und ließen Cord und Yul mit herzhaften Zurufen hochleben. Ein Hubschraubermechaniker schenkte Cord seinen Lieblings-Mehrschlitzschraubenzieher.
Eine Stunde später saß ich im Flugzeug nach Tredegarh.
Arsibalt beruhigte sich ein wenig. Er holte tief und zittrig Atem. »Wie es scheint, hat er sein Schicksal ziemlich gleichmütig hingenommen.«
»Ja.«
»Weißt du, was das Symbol bedeutet, das er auf den Boden gezeichnet hat? Das Analemma?«
Mir fiel etwas ein. »Hey!«, sagte ich. »Woher weißt du das alles? Haben sie euch Spulos anschauen lassen?«
Er war froh, dass er einen Vorwand hatte, gegen etwas wettern zu können. Das beruhigte ihn ungemein. »Ich habe vergessen, dass du nichts von der Konvox weißt. Immer wenn sie allen etwas mitteilen wollen – zum Beispiel, als Jesry aus dem Weltraum zurückgekehrt ist -, rufen sie uns zu einem so genannten Plenar im Mittelschiff der Unarier zusammen, dem einzigen Ort, der groß genug ist, um die gesamte Konvox zu fassen. Die Regeln werden gelockert; sie zeigen uns Spulos. Jedenfalls hat es nach der Heimsuchung von Orithena ein ganztägiges Plenar – höchst enervierend – gegeben.«
»Heimsuchung? So nennen sie das also?«
Ich konnte ihn nicken sehen. Es war schwierig, durch das Poly Einzelheiten auszumachen, aber ich befürchtete, er könnte vielleicht wieder versuchen, sich einen Bart wachsen zu lassen.
»Na ja«, sagte ich. »Ich habe ein paar Tage mit ihm verbracht, bevor … vor den Ereignissen, die du im Spulo gesehen hast. Ich habe natürlich das ursprüngliche Analemma gesehen, das alte auf dem Tempelboden.«
»Das muss ja toll gewesen sein!«, entfuhr es Arsibalt.
»War es auch. Zumal jetzt, wo wir nie wieder zurückkönnen«, sagte ich. »Aber was das Analemma angeht, das Orolo am Strand gezeichnet hat, habe ich leider keine speziellen Erkenntnisse gewonnen, mit denen ich entschlüsseln könnte, was …«
»Ist irgendwas?«, fragte Arsibalt ein paar Sekunden später. Denn ich war verstummt.
»Mir ist gerade etwas eingefallen«, sagte ich. »Eine Bemerkung, die Orolo gemacht hat. Das Letzte, was er zu mir gesagt hat, bevor die Sonde ihre Feinsteuerraketen gezündet hat. ›Sie müssen mein Analemma entziffert haben!‹«
»Mit ›sie‹ waren vermutlich die Geometer gemeint.«
»Ja. Aber es ist einfach zu viel passiert, als dass ich ihn fragen konnte, was das heißen sollte …«
»Und dann war es zu spät«, sagte Arsibalt.
Orolos Tod war noch so frisch, dass wir jedes Mal, wenn die Rede darauf kam, einige Augenblicke lang nicht weitersprechen konnten. Aber wir dachten beide nach. »Eine Phototypie von der
Wand seiner Zelle auf Blys Koppie«, sagte ich, »zeigte das Analemma. Das alte.«
»Ja«, sagte Arsibalt. »Daran kann ich mich erinnern.«
»Fast, als wäre es für ihn gleichbedeutend mit einem religiösen Symbol gewesen«, sagte ich, »wie das Dreieck für bestimmte Archs.«
»Aber das erklärt nicht seine Bemerkung darüber, dass die Geometer es ›entziffert‹ hätten«, wandte Arsibalt ein.
Wir rätselten noch eine Weile herum, kamen aber nicht weiter.
»Und bei dem Plenar nach Jesrys Rückkehr aus dem Weltraum«, fragte ich, »habt ihr da auch gesehen, was mit dem Himmelswart passiert ist?«
»Du auch?«, fragte er. Dann schwiegen wir beide eine Zeitlang, und beide warteten wir darauf, dass der andere etwas Komisches und Unangemessenes sagte. Aber irgendwie schien es noch nicht der richtige Zeitpunkt zu sein.
»Wie geht es den anderen?«
Er seufzte. »Ich bekomme nicht viel von ihnen zu sehen. Wir sind alle verschiedenen Laboratorien zugeteilt worden. Periklyne ist natürlich ein totales Irrenhaus. Und wir haben uns alle für verschiedene Lukubs entschieden.«
Was diese Worte zu bedeuten hatten, konnte ich nur raten. »Aber vielleicht kannst du mir ja wenigstens sagen, wie es ihnen geht?«
»Du musst wissen, dass es für Jesry und Ala anders ist«, begann er.
»Wieso?«
»Weil sie beim Voko aufgerufen worden sind. Wie alle, deren Namen dabei genannt werden, sind sie gestorben und haben ein neues Leben beginnen müssen. Einigen hat das recht gut gefallen. Alle haben sich daran gewöhnt. Und dann, Wochen später, hat sich das Ganze plötzlich zu einer Konvox gemausert.«
»Sie mussten von den Toten
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