Anathem: Roman
die ihr ganzes Leben der Theorik widmeten? Als der unabhängige Geist, der sie war, würde Cord ebenso wenig unter dem Bann solcher Ideen leben wollen, wie sie ihr Frühstück mit einer Maschine bereiten wollte, die sie nicht verstehen und reparieren konnte.
Erschöpft, gereinigt, wackelig, aber kräftiger, wanderte ich durch mein neues Zuhause.
Die Küche wurde zur Hälfte von palettierten Mineralwasserflaschen eingenommen. Die Schränke waren mit einer merkwürdigen Mischung aus Extramuros-Lebensmitteln und frischen Produkten aus den Strüppen und Arboreten von Tredegarh bestückt. Auf den Tisch hatte man einige Bücher gelegt: ein paar sehr alte SF-Romane (die maschinell auf billigem Papier gedruckten Originale waren längst Staub; diese hier waren von Hand auf richtige Blätter kopiert worden) und ein Sammelsurium aus Philosophie, Metatheorik, Quantenmechanik und Neurologie. Teils waren es berühmte, von Leuten wie Protas verfasste Werke, teils stammten sie von Avot, die sich in Mathen abmühten, von denen ich noch nie gehört hatte. Ich kam zu dem Schluss, dass man irgendeinen Fid beauftragt hatte, mich mit Lesestoff zu versorgen, und dass er mit verbundenen Augen durch eine Bibliothek gelaufen war und sich aufs Geratewohl Bücher von den Regalen gegriffen hatte.
Auf meinem Bett lag eine neue Kulle, Kord und Sphär, zu dem traditionellen Päckchen zusammengefaltet und verknotet. Während ich die Knoten löste und die Falten auseinanderwickelte, den Rest meiner Ekba-Kluft abstreifte und mich anzog, begann mir alles, was passiert war, seit ich das Tagestor von Edhar durchschritten hatte, wie ein Traum vorzukommen – so weit in der Vergangenheit wie die Zeit, bevor ich zugelassen worden war.
In der Küche sortierte ich sämtliche Nahrungsmittel der säkularen Welt aus, verstaute sie in den Schränken und ließ die Erzeugnisse des Konzents draußen liegen, damit ich sie sehen und riechen konnte. Man hatte mich mit allem versorgt, was ich zum Brotbacken brauchte, und ich machte mich ohne nachzudenken an die Arbeit. Der Duft durchzog das Modul und drängte die Gerüche von frischem Poly, Teppichkleber und Leimholz zurück.
Ich versuchte, eines der metatheorischen Bücher zu lesen, während der Teig aufging. Als ich gerade einzudämmern begann (das Buch war undurchschaubar, und meine innere Uhr war nicht synchron mit der Sonne), versuchte mich jemand zu Tode zu erschrecken, indem er an die Wände meines Moduls hämmerte. Dass es sich um Arsibalt handelte, erkannte ich an der Wucht der Schläge. An seinen Schritten, während er um meine Behausung herumstrich. An der methodischen Art und Weise, wie er auf jedes Stück Wand eindrosch, das sich präsentierte – als hätte ich es beim ersten Mal überhören können.
Ich öffnete ein Fenster und rief durch Maschendraht und wolkige Polyfolie: »Das Ding ist nicht aus Stein wie die Gebäude, die du gewohnt bist, also kommt man mit einem bisschen Pochen sehr weit.«
Ein ungefähr wie Arsibalt geformter Schemen schob sich in die Mitte der Öffnung. »Fraa Erasmas! Wie schön, deine Stimme zu hören und nach deiner undeutlichen Gestalt zu schielen!«
»Gleichfalls. Dann gelte ich also immer noch als Fraa?«
»Die sind viel zu beschäftigt, um dein Anathem in ihrem Programm unterzubringen – bild dir ja keine Schwachheiten ein.«
Längeres Schweigen.
»Es tut mir so schrecklich leid«, sagte er.
»Mir auch.« Arsibalt wirkte sehr mitgenommen, und so schwatzte ich eine Zeitlang weiter. »Du hättest mich vor einer Stunde sehen sollen! Da war ich in einem fürchterlichen Zustand«, sagte ich. »Eigentlich bin ich’s immer noch.«
»Du warst … dabei?«
»Ungefähr zweihundert Fuß entfernt, würde ich schätzen.«
Da begann er ernsthaft zu weinen. Ich konnte schlecht zu ihm hingehen und ihn in die Arme nehmen. Ich versuchte, mir etwas einfallen zu lassen, was ich sagen konnte. Für ihn, erkannte ich, war es schwerer. Nicht dass es leicht für mich gewesen wäre, mit anzusehen, wie Orolo starb. Aber wenn es denn hatte geschehen müssen, war es besser, dabei gewesen zu sein und es mit angesehen zu haben. Und auch besser, hinterher ein paar Tage mit meinen Freunden am Strand verbracht zu haben.
Nachdem die Abordnung aus Tredegarh erschienen war und mir gesagt hatte, wie es weitergehen würde, hatte ich mit Cord, Yul, Gnel und Sammann an einem Lagerfeuer gesessen. Es war nicht nötig gewesen, darauf hinzuweisen, dass wir fünf vielleicht nie wieder
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