Anathem: Roman
ich.
»Gut. Ich weiß nicht, wann du sie sehen wirst, weil sie und ich nach unserem Voko eine Liaison eingegangen sind.«
Meine Ohren fingen Feuer, und aus meiner Wirbelsäule schossen gezackte Stacheln. Jedenfalls fühlte es sich so an. Doch als ich später in einem Spiegel nachsah, schien ich mich nicht verändert zu haben, allenfalls ein bisschen dümmer dreinzuschauen. Irgendein höherer, neuerer Teil meines Gehirns – d. h., einer, der sich später als vor fünf Millionen Jahren entwickelt hatte -, hielt es für angezeigt, das Gespräch in Gang zu halten. »Aha. Danke, dass du es mir mitgeteilt hast. Wie geht es denn nun weiter?«
»Tja, so wie ich sie kenne, wird sie eine Entscheidung treffen. Und bis sie sie getroffen hat, wird wahrscheinlich keiner von uns beiden von ihr hören.«
Ich blieb stumm.
»Sie ist sowieso schwer beschäftigt«, fuhr Jesry fort. Ich hatte das Gefühl, dass er fertig mit mir war und eigentlich gehen wollte. Aber sogar er wusste, dass er nicht einfach eine solche Bombe platzen lassen und sich dann verdrücken konnte. Und so überbrückte er ein wenig Zeit damit, dass er über die Struktur der Konvox sprach und wie sie organisiert war. Ich bekam kaum etwas davon mit.
Deshalb also hatte er mir so prompt einen Besuch abgestattet. Damit er mir diese Neuigkeit eröffnen konnte, während wir durch Maschendraht voneinander getrennt waren. Kluger Junge!
Weil (so überlegte ich, nachdem er sich verabschiedet hatte) er mich kannte und wusste, dass ich darüber nachbrüten und vernünftig sein würde. Warum hätten sie keine Liaison eingehen sollen? Nachdem Ala evoziert worden war, hatte ich mich ja auch selbst als jemanden gesehen, der zu haben war.
Nicht, dass mir das irgendetwas genützt hätte!
Ich aß ein Stück Brot. Drei Avot in Schutzanzügen kamen in das Modul. Zwei davon nahmen mir noch mehr von meinem Blut ab. Der dritte blieb, nachdem sich die Bluträuber davongemacht hatten. Es war eine Frau. Sie zerrte sich den Helm ihres Schutzanzuges herunter und warf ihn aufs Bett. Stopfte ihre Handschuhe hinein. Fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und betastete ihre Kopfhaut. »Stickig hier drin«, erklärte sie, als sie meinen Blick wahrnahm. »Suur Maroa. Zentenarierin. Fünfte Makronikerin. Ich bin aus einem kleinen Math, von dem du noch nie gehört hast. Kann ich etwas von dem Brot haben?«
»Hast du keine Angst, verseucht zu werden?«
Ihr Blick ging von ihrem Helm zu mir.
Ich fand Suur Maroa ziemlich attraktiv, aber sie war fünfzehn Jahre älter als ich, und ich traute mir selbst in diesem Augenblick nicht; vielleicht hätte mich jedes weibliche Wesen angezogen, das mich nicht als Überträger einer außerarbrischen Seuche betrachtete. Also holte ich ihr ein Stück Brot. »Was für ein grässlicher Ort«, bemerkte sie, während sie sich umschaute. »Wohnen Extras so?«
»Die meisten.«
»Du müsstest jedenfalls bald hier rauskommen.« Sie atmete tief durch die Nase ein, und ich erkannte an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie über das nachdachte, was sie roch. Dann schaute sie verärgert drein und schüttelte den Kopf. »Zu viele industrielle Nebenprodukte hier drin«, murmelte sie.
»Was hast du vor?«, fragte ich. »Was machen Fünfte Makroniker? Tut mir leid, eigentlich müsste ich es wissen.«
»Danke«, sagte sie, als sie das Stück Brot aus meiner Hand entgegennahm, die sie dabei unabsichtlich berührte. Sie biss davon ab und starrte ins Leere.
Avot, die der Makronischen Regel folgten, hatten unmittelbar nach der Rekonstitution begonnen, sich zu spalten, zu streiten und darüber zu kabbeln, welche Sekte Anspruch auf die Bezeichnung Makroniker, Reformierte Makroniker, Neumakroniker etc. hatte. Irgendwann war man zu einem Nummerierungssystem übergegangen. Inzwischen war man bei etwas über zwanzig angelangt, somit waren Fünfer recht gut etabliert.
»Ich glaube nicht, dass die Unterschiede zwischen den Fünfern, den Vierern und den Sechsern hier von Belang sind«, entschied sie schließlich. Sie wandte sich mir zu und sah mich an. »Ich möchte wissen, wie sie gerochen haben.«
»Wirklich?«
»Ja. Du hast doch zum Beispiel den Fallschirm angefasst, oder?«
»Ja.«
»Wenn du einen großen alten Fallschirm aus einem Militärdepot auf Arbre anfassen würdest, könntest du das riechen. Vielleicht würde er muffig riechen, weil er lange Zeit in einem Sack aufbewahrt worden ist.«
»Wenn ich nur so geistesgegenwärtig gewesen wäre, stärker darauf zu achten!«,
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