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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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auferstehen.«
    »Ja. Du solltest damit rechnen, dass es nicht ganz einfach wird.«
    »Nicht ganz einfach! Na, dann wird mir wenigstens irgendwas hier vertraut vorkommen.«
    Arsibalt räusperte sich, anstatt zu lachen.
     
    »Die werden dich in null Komma nichts aus diesem Ding rauslassen«, sagte mir Jesry. In deutlichem Widerspruch zu Arsibalts Vorhersage kam er mich besuchen, noch ehe mein Brot vollständig abgekühlt war.

    Er hatte sich mit so absoluter Zuversicht geäußert, dass ich wusste, er musste sich vollkommen sicher sein. »Worauf gründet sich deine Vorhersage?«, fragte ich.
    »Die Laserstrahlen hatten die falsche Farbe«, sagte er.
    Ich wiederholte seinen Satz laut, konnte aber trotzdem nichts damit anfangen.
    »Der Laser, der auf die Unversehrten gerichtet wurde«, erklärte er, »in der Nacht, als das Ganze zur Konvox wurde.«
    »Er war rot«, sagte ich – ziemlich dumm, aber ich versuchte, Informationsbruchstücke aus Jesrys Gehirn herauszulösen, indem ich mit Steinen danach warf.
    »Einige hier in Tredegarh kennen sich mit Lasern aus«, sagte Jesry. »Sie haben sofort gewusst, dass da was nicht stimmte. Es gibt nur soundso viele Gase oder Gasgemische, die man zur Erzeugung eines roten Lasers verwenden kann. Jedes ergibt eine unterschiedliche Wellenlänge. Ein Laserexperte, der sich einen Lichtfleck ansieht, weiß sofort, welches Gasgemisch als laseraktives Medium verwendet wurde. Die Farbe vom Laser der Geometer haben sie nicht erkannt.«
    »Ich verstehe nicht, was …«
    »Zum Glück war ein Kosmograph in Rambalf so geistesgegenwärtig, eine photomnemonische Platte damit zu belichten«, fuhr Jesry fort. »Daher kennen wir die genaue Wellenlänge. Und mittlerweile ist bestätigt, dass sie keinen natürlich vorkommenden Spektrallinien entspricht.«
    »Das ergibt doch keinen Sinn! Diese Wellenlängen ergeben sich aus quantenmechanischen Berechnungen, die allem zugrunde liegen!«
    »Denk doch an Neustoff«, sagte Jesry.
    »Nun gut«, sagte ich und überlegte. Wenn man in die Zusammensetzung des Kerns eingriff, änderte sich die Art und Weise, wie die Elektronen darum kreisten. Laserlicht entstand daraus, dass ein Elektron von einer Bahn mit hoher in eine Bahn mit niedriger Energie überging. Der Energieunterschied bestimmte die Wellenlänge – die Farbe des Lichts. »Mit Neustoff erzeugte Laser haben Farben, die in der Natur nicht vorkommen«, räumte ich ein.
    Jesry wartete schweigend darauf, dass ich den nächsten Schritt vollzog.
    »Also«, fuhr ich fort, »haben die Geometer Neustoff – sie haben damit einen Laserstrahl erzeugt.«

    Seine Körperhaltung änderte sich. Durch das Plastik konnte ich nichts anderes als seine Körperhaltung erkennen. Dennoch sah ich, dass er anderer Meinung war. Und ich wusste ausnahmsweise mal, warum.
    »Aber sie haben keinen«, fuhr ich fort. »Jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang. Ich habe ihren Fallschirm angefasst. Die Tragleinen. Die Luke. Das war ganz normales Zeug – zu schwer, zu schwach.«
    Er nickte. »Was du nicht wissen konntest – was bis vor wenigen Stunden keiner von uns gewusst hat -, ist, dass das alles Neustoff ist. Alles, was mit dieser Sonde heruntergekommen ist – sämtliche Ausrüstung, sämtliches organisches Gewebe -, würden wir in dem Sinne als Neustoff bezeichnen, dass die Kerne sich auf eine Weise zusammensetzen, die nicht natürlich ist – jedenfalls nicht in diesem Kosmos.«
    »Aber das meiste davon wurde zerstört!«, protestierte ich. »Oder zumindest unter mehreren hundert Fuß Asche begraben.«
    »Die Orithener und deine Freunde haben ein paar Bruchstücke geborgen. Wir haben eine Knebelgriffkonsole. Ein paar Bolzen, die Cord eingesteckt hat. Stücke von Schirm und Tragleinen. Die Kiste mit den Blutproben. Und wir haben den vollständigen Leichnam der Frau, die in den Rücken geschossen wurde, und das ist Saunt Orolos Verdienst.«
    Letzteres wäre mir fast entgangen. Bis jetzt hatte Jesry Orolo mit keinem Wort erwähnt. Bestimmte Nuancen in seiner Haltung und seiner Stimme verrieten mir, dass er trauerte – aber nur, weil ich ihn schon mein Leben lang kannte. Er würde lange Zeit auf seltsame, verborgene Weise trauern.
    Ich räusperte mich. »Bezeichnen ihn inzwischen viele Leute so?«
    »Eigentlich immer weniger, je mehr Zeit vergeht. Gleich nachdem sie uns den Spulo gezeigt haben, ist es den Leuten ganz selbstverständlich über die Lippen gegangen. Seine Handlungsweise entsprach so offensichtlich der eines Saunt,

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