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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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dass niemand auch nur darüber nachdenken musste. In letzter Zeit machen einige einen Rückzieher – überdenken das Ganze.«
    »Was gibt es da zu überdenken?«
    Er zuckte die Achseln und warf die Hände hoch. »Mach dir keine Sorgen. Du weißt doch, wie es ist. Keiner möchte irgendwas übers Knie brechen – sich als Enthusiasten bezeichnen lassen. Die Prokier
basteln wahrscheinlich gerade radikal neue Interpretationen dessen zusammen, was Orolo in ihren Lukubs gemacht hat. Vergiss es. Er hat das Opfer gebracht. Das honorieren wir dadurch, dass wir der toten Frau so viele Erkenntnisse wie möglich abgewinnen. Und ich versuche, dir zu sagen, dass jeder Kern jedes Atoms von ihr, die Schrotkugeln in ihren Eingeweiden, die Kleidung, die sie getragen hat, aus Neustoff bestehen – daher gilt wahrscheinlich das Gleiche für alles, was das Ikosaeder enthält.«
    »Also verhalten sich die Elektronen um diese Kerne entsprechend unnatürlich«, sagte ich, »indem sie zum Beispiel Laserstrahlen der falschen Farbe erzeugen.«
    »Das Verhalten der Elektronen ist im Grunde gleichbedeutend mit Chemie«, warf Jesry ein. »Genau deshalb wurde der Neustoff erfunden: weil uns das Herumfummeln mit der Nukleosynthese neue Elemente und eine neue Chemie beschert hat, mit der wir herumspielen können.«
    »Und das Funktionieren lebendiger Organismen basiert auf Chemie«, sagte ich.
    Jesry war schlauer als ich. Bestimmt wusste er das auch. Aber er ließ es sich nicht sehr oft anmerken. Ganz gleich, wie oft ich nicht kapierte, wovon er redete, er glaubte unerschütterlich an meine Fähigkeit, zu verstehen, was er verstand. Das war ein liebenswerter Zug – sein einziger. Nun wechselte er erneut die Haltung und beugte sich vor, als interessiere ihn tatsächlich, was ich zu sagen hatte – womit er mich wissen ließ, dass ich auf der richtigen Spur war.
    »Wir können nicht chemisch mit den Geometern – oder mit irgendeinem ihrer Viren oder Bakterien – interagieren, weil der Laser die falsche Farbe hatte!«
    »Ein paar einfache Interaktionen sind zweifellos möglich«, sagte Jesry. »Ein Elektron ist ein Elektron. Also können unsere Atome einfache chemische Verbindungen mit ihren bilden. Aber die hoch entwickelte Biochemie, mit deren Hilfe Keime zu Werke gehen, die findet nicht statt.«
    »Sie könnten also Geräusche hervorbringen, die wir hören können. Sehen, wie unsere Körper Licht reflektieren. Uns sogar eins auf die Nase geben …«
    »Oder uns stangen.« Dies war das erste Mal, dass ich hörte, wie Stange in der Verbform verwendet wurde, aber ich kam zu dem
Schluss, dass er von dem Projektil sprach, das Ekba in die Luft gejagt hatte.
    »Aber nicht infizieren«, sagte ich.
    »So wenig wie umgekehrt. Sicher, mit der Zeit werden sich Keime entwickeln, die mit beiden Typen von Materie interagieren können – die Ökosysteme miteinander verknüpfen können. Aber das wird noch lange dauern, und wir können das jederzeit beherrschen. Also. Du wirst bald aus dieser Kiste herauskönnen.«
    »Haben sie Wasser? Sauerstoff?«
    »Ihr Wasserstoff ist mit unserem identisch. Ihr Sauerstoff ist unserem so ähnlich, dass sie Wasser haben. Ob wir ihn atmen könnten, wissen wir nicht. Kohlenstoff scheint etwas anders zu sein. Die Metalle und so weiter zeigen größere Abweichungen.«
    »Wie viel weißt du noch über die Geometer?«
    »Weniger als du. Was hat Orolo in Orithena gemacht?«
    »Einen Untersuchungsansatz verfolgt, den ich nicht ganz verstehe.«
    »Der einer polykosmischen Interpretation der Ereignisse entspricht?«
    »Total.«
    »Erzähl mir davon.«
    »Ich habe Angst, davon zu reden.«
    »Warum?«
    »Weil ich Angst habe, es komplett zu vermasseln.«
    Jesry antwortete nicht, und ich bildete mir ein, dass er mich durch den Kunststoff hindurch misstrauisch beäugte.
    Der eigentliche Grund, warum ich nicht darüber reden wollte, war natürlich, dass ich befürchtete, dass das geradewegs zu den Inkantoren führen würde. Und ich vermutete, dass wir unter Überwachung standen.
    »Ein andermal«, sagte ich, »wenn ich frischer bin. Wir können einen Spaziergang machen. Wie damals, als wir in Orolos Weinberg theorische Dialoge geführt haben.«
    Orolos Weinberg war wegen seiner Südhanglage einer jener Teile von Edhar, die von keinem Fenster des Regelwarts aus einzusehen waren, und daher der Ort, den wir aufzusuchen pflegten, wenn wir irgendetwas Verwerfliches im Schilde führten. Jesry verstand und nickte.
    »Wie geht es Ala?«, fragte

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