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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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hat begonnen, Bilder aufzunehmen«, begann ich. »Mehrere Minuten lang habe ich gesehen, was er gesehen hat.«
    »Nicht so schnell, du fängst ja mitten in der Geschichte an!«, beklagte sich Fraa Lodoghir mit nachsichtigem, väterlichem Gehabe.
    »Na schön«, sagte ich. »Wie weit soll ich deiner Meinung nach denn sinnvollerweise zurückgehen?«
    »Sosehr mich die Auts und das Brauchtum des Kults von Orithena auch faszinieren«, sagte Fraa Lodoghir, »sollten wir uns doch auf die eigentliche Heimsuchung beschränken. Bitte beginne bei
dem Moment, als dir ins Bewusstsein drang, dass etwas Außergewöhnliches geschah.«
    »Es sah aus wie ein Meteorit – was ungewöhnlich, aber nicht außergewöhnlich ist«, sagte ich. »Er verglühte nicht sofort, deshalb dachte ich, dass es ein großer sein muss. Zuerst fand ich es schwierig, aus seiner Flugbahn schlau zu werden – bis ich dahinterkam, dass er auf uns zuhielt. Ich kann dir nicht sagen, wann genau ich den Schluss zog, dass es sich nicht um ein natürliches Phänomen handelte. Wir begannen den Berg hinunterzulaufen. Während wir noch unterwegs waren, entfaltete sich der Fallschirm der Sonde.«
    »Wenn du ›wir‹ sagst, von welcher Gruppengröße sprichst du dann?«
    Anstatt darauf zu warten, dass Fraa Lodoghir mir die richtige Antwort aus der Nase zog, gab ich sie ihm lieber freiwillig: »Zwei. Orolo und ich.«
    »Saunt Orolo! Ja, über ihn wissen wir Bescheid«, sagte Fraa Lodoghir. »Er kommt überall in dem Spulo vor, aber bis jetzt haben wir nicht gewusst, wie er am Schauplatz eingetroffen ist. Er war doch der Erste, der den Grund des Lochs erreicht hat, nicht wahr?«
    »Wenn du mit ›Loch‹ den ausgegrabenen Tempel von Orithena meinst, ja«, sagte ich.
    »Aber der liegt doch am Fuße des Vulkans!«, rief er in einem Ton aus, der irgendwie zu vermitteln vermochte, dass ich ein solcher Einfaltspinsel war, dass ich das nicht wusste.
    »Das ist mir klar«, sagte ich.
    »Aber jetzt erfahren wir, dass ihr beide, du und Orolo, vom Gipfel des Vulkans hinuntergerannt seid, während die Sonde am Fallschirm in das Loch schwebte.«
    »Ja.«
    »Was ist mit den anderen? Waren sie so in die Betrachtung der Hyläischen Theorischen Welt versunken, dass ihnen nicht klar war, dass mitten in ihrem Lager eine außerarbrische Raumsonde niederging?«
    »Sie blieben am oberen Rand der Ausgrabung stehen, während Orolo allein bis auf den Grund hinunterrannte.«
    »Allein?«
    »Nun ja, ich bin ihm gefolgt.«
    »Was um alles in der Welt habt ihr beide überhaupt nach Einbruch
der Dunkelheit oben auf dem Vulkan gemacht?« Irgendwie gelang es Fraa Lodoghir, dies in einem Ton zu fragen, der beim Publikum vereinzelt Gekicher hervorrief.
    »Wir waren nicht oben auf dem Vulkan – was eigentlich auf der Hand liegen müsste, wenn man sich einen Moment lang überlegt, was ein Vulkan ist.«
    Das wiederum gab eine ganz andere Art von Lacher. Sogar Fraa Lodoghir schaute leicht belustigt drein. »Aber ihr wart doch ziemlich weit oben auf dem Hang?«
    »Bei ein paar tausend Fuß.«
    »Über der Wolkenschicht?«, fragte er, als wäre das äußerst bedeutsam.
    »Es gab keine Wolken!«
    »Ich frage dich noch einmal: Wieso? Was habt ihr dort gemacht?«
    Hier zögerte ich. Ich hätte nichts lieber getan, als dazu beizutragen, Orolos Ideen zu propagieren, und ich würde, da mir die gesamte Konvox zuhörte, nie wieder eine bessere Gelegenheit dazu bekommen. Aber ich hatte nur einen Bruchteil seiner Argumentation zu Gesicht bekommen. Ich begriff nicht vollständig, was ich gehört hatte. Ich wusste jedoch genug, um zu wissen, dass das zu Gerede von Inkantoren führen könnte.
    »Orolo und ich sind auf den Berg gegangen, um miteinander zu reden«, sagte ich. »Wir haben uns ziemlich in unseren Dialog vertieft und nicht bemerkt, dass es dunkel wurde.«
    »Wenn du dich für den Begriff Dialog entscheidest, so bringt mich das auf den Gedanken, dass ihr über ein gewichtigeres Thema als die Reize deiner neuen orithenischen Freundin geredet habt«, sagte Fraa Lodoghir trocken.
    Verdammt, er war gut! Woher wusste er so genau, wie er mich durcheinanderbringen konnte?
    Hoch droben auf dem Fels begannen Glocken zu läuten. Es hörte sich an, als riefen sie zur Provene. Wie zogen sie hier eigentlich ihre Uhr auf?
    Mir kam eine Erinnerung an Lio, wie er vor einigen Monaten mit zwei blauen Augen die Uhr aufzog, nachdem er mich aufgefordert hatte, ihm mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Ich versuchte zu

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