Anathem: Roman
einfach.«
»Ganz im Gegenteil, nichts könnte rationaler sein, als von dem auszugehen, was gegeben ist, was wir beobachten, uns zu fragen, wie es kommt, dass wir es beobachten, und dieser Frage gründlich und penibel nachzugehen.«
»Dann will ich es anders formulieren: Welche Ergebnisse konnte Atamant dadurch liefern, dass er sich an dieses Programm hielt?«
»Sobald er die Entscheidung getroffen hatte, so vorzugehen, verfolgte er zunächst ein paar falsche Ansätze und geriet in einige Sackgassen. Aber der springende Punkt ist folgender: Bewusstsein findet in der physischen Welt statt, und zwar mit physischem Rüstzeug …«
»Rüstzeug?«, fragte Ignetha Foral scharf.
»Nervengewebe, vielleicht auch irgendein künstliches Gerät mit ähnlichen Fähigkeiten. Entscheidend ist, dass es das besitzt, was die Ita Materialwert nennen würden. Atamants Prämisse jedoch lautet, dass das Bewusstsein selbst, nicht das Rüstzeug, die primäre Wirklichkeit ist. Der vollständige Kosmos besteht aus dem physischen Stoff und dem Bewusstsein. Nimmt man das Bewusstsein weg, ist er bloß Staub; fügt man das Bewusstsein hinzu, bekommt man Dinge, Ideen und die Zeit. Die Geschichte ist lang und umständlich, aber irgendwann hat Atamant einen fruchtbaren Forschungsansatz gefunden, der in der polykosmischen Interpretation der Quantenmechanik verwurzelt war. Diese Prämisse hat er dann vernünftigerweise auf sein Lieblingsthema angewendet …«
»Die Kupferschale?«, fragte Lodoghir.
»Den Komplex von Bewusstseinsphänomenen, die auf seine Wahrnehmung einer Kupferschale hinausliefen«, korrigierte ihn
Zh’vaern, »um sie sodann innerhalb dieses Rahmens zu erklären.« Und Zh’vaern – der an diesem Abend ungewohnt redselig war – hielt uns sodann eine Kalka, in der er Atamants Erkenntnisse über die Kupferschale zusammenfasste. Seiner Vorwarnung entsprechend, hatte sie sehr viel mit den Dialogen gemeinsam, über die ich einige Minuten zuvor berichtet hatte, und führte zu demselben grundlegenden Schluss. Tatsächlich wiederholte sie dermaßen viel, dass ich mich anfangs fragte, warum er sich die Mühe machte, sofern er nicht bloß damit angeben wollte, was für ein schlauer Bursche Atamant gewesen war, um so Punkte für die Matarrhiten zu sammeln. Als Servitor konnte ich ungehindert kommen und gehen. Zh’vaern gelangte irgendwann zu der bereits gehörten Behauptung, dass Interferenzen zwischen verschiedenen Kosmen um die Zeit herum, zu der ihre Weltspuren auseinanderstrebten, von bewusstseinstragenden Systemen regelmäßig verwertet würden.
Lodoghir sagte: »Bitte erkläre mir etwas. Bisher stand ich unter dem Eindruck, dass die Art von Interferenz, von der du sprichst, nur zwischen zwei Kosmen stattfinden könne, die mit Ausnahme eines Unterschieds im Quantenzustand eines Teilchens genau gleich sind.«
»So viel können wir mit Sicherheit feststellen«, sagte Moyra, »weil die Situation, die du beschrieben hast, genau die Art von Phänomen ist, die bei Laborexperimenten untersucht wird. Es ist relativ einfach, einen Apparat zu bauen, der diese Art von Szenario umfasst – ›dreht sich das Teilchen nach oben oder nach unten‹, ›tritt das Photon durch den linken oder durch den rechten Schlitz‹ und so weiter.«
»Na, das ist ja eine Erleichterung!«, sagte Lodoghir. »Ich hatte schon befürchtet, du würdest gleich behaupten, diese Interferenzen wären dasselbe wie der Hyläische Fluss.«
»Ich glaube, dass er das ist«, sagte Zh’vaern. »Er muss es sein.«
Lodoghir wirkte beleidigt. »Aber Suur Moyra hat doch gerade erklärt, dass die einzige Form von interkosmischer Interferenz, für die wir experimentelle Beweise haben, diejenige ist, bei der zwei Kosmen bis auf den Zustand eines einzigen Teilchens gleich sind. Der Hyläische Fluss verbindet laut seinen Anhängern Kosmen, die vollkommen verschieden sind!«
»Wenn du die Welt durch einen Strohhalm betrachtest, siehst du nur einen winzigen Teil davon«, sagte Paphlagon. »Die Art von Experimenten,
von denen Moyra gesprochen hat, sind alle vollkommen vernünftig – ja, sie sind auf ihre Weise sogar großartig -, aber sie erzählen uns nur von Ein-Teilchen-Systemen. Könnten wir uns bessere Experimente ausdenken, könnten wir vermutlich auch neue Phänomene beobachten.«
Fraa Jad warf seine Serviette auf den Tisch und sagte: »Das Bewusstsein verstärkt die schwachen Signale, die – wie Spinnweben zwischen Bäumen – Narrative miteinander verweben. Darüber
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