Anathem: Roman
hinaus verstärkt es sie selektiv und erzeugt auf diese Weise Rückkopplungs-Schleifen, welche die Narrative steuern.«
Stille bis auf das Geräusch, mit dem Arsibalt das Gesagte an die Wand schrieb. Ich schlüpfte in den Messallan.
»Wärst du so freundlich, diese Feststellung zu erläutern?«, sagte Suur Asquin schließlich. Mit einem Blick auf das von Arsibalt Geschriebene fuhr sie fort: »Was zum Beispiel meinst du mit Verstärkung schwacher Signale?«
Fraa Jad sah aus, als wüsste er kaum, wo er anfangen sollte, und hätte auch überhaupt keine Lust dazu, aber Moyra war bereit: »Die ›Signale‹ sind die Interaktionen zwischen Kosmen, die für Quanteneffekte verantwortlich sind. Wenn man die polykosmische Interpretation nicht für richtig hält, muss man eine andere Erklärung für diese Effekte finden. Hält man sie allerdings für richtig, muss man sich, damit sie mit dem kompatibel ist, was wir schon lange über Quantenmechanik wissen, die Prämisse zu eigen machen, dass Kosmen einander überlagern, wenn ihre Weltspuren dicht beieinanderliegen. Wenn man sich auf einen speziellen Kosmos beschränkt, lässt sich diese Interferenz als Signal interpretieren – ein ziemlich schwaches, da es nur ein paar Teilchen betrifft. Wenn diese Teilchen sich in einem Asteroiden mitten im Nirgendwo befinden, spielt das kaum eine Rolle. Befinden sie sich aber zufällig an bestimmten kritischen Stellen im Gehirn, dann können die ›Signale‹ am Ende das Verhalten des Organismus ändern, der von diesem Gehirn belebt wird. Für sich betrachtet ist dieser Organismus viel größer als alles, was normalerweise durch Quantenüberlagerung beeinflusst werden könnte. Wenn man Gesellschaften solcher Organismen betrachtet, die über lange Zeitspannen hinweg bestehen und in einigen Fällen weltenverändernde Technologien entwickeln, erkennt man, was es mit Fraa Jads Behauptung auf sich hat, dass das Bewusstsein die schwachen Signale verstärke, die Kosmen miteinander verweben.«
Zh’vaern nickte schon seit geraumer Zeit heftig. »Das stimmt mit einigem überein, was ich gestern Abend bei Atamant gelesen habe. Bewusstsein, schreibt er, ist seinem Wesen nach nicht raumzeitlich. Aber es lässt sich auf die raumzeitliche Welt ein, wenn bewusste Geschöpfe auf ihre eigenen Wahrnehmungen reagieren und sich bemühen, mit anderen bewussten Geschöpfen zu kommunizieren – was sie nur können, indem sie ihren raumzeitlichen Körper ins Spiel bringen. So gelangen wir von einer solipsistischen Welt – einer, die nur von einem Subjekt wahrgenommen wird und nur für dieses Subjekt wirklich ist – zur intersubjektiven Welt – derjenigen, bei der ich sicher sein kann, dass du die Kupferschale siehst und dass die Diesheit, die du ihr beimisst, mit meiner übereinstimmt.«
»Danke, Suur Moyra und Fraa Zh’vaern«, sagte Ignetha Foral. »Würdet ihr oder sonst wer, falls Fraa Jad weiterhin in Aphorismen spricht, euch gern am zweiten Teil seines Beitrags versuchen?«
»Mit dem größten Vergnügen«, sagte Fraa Lodoghir, »da Fraa Jad sich jedes Mal, wenn er den Mund auftut, mehr und mehr wie ein Prokier anhört!« Das verschaffte Lodoghir eine Menge Aufmerksamkeit, in der er sich einige Augenblicke lang sonnte, ehe er fortfuhr: »Unter selektiver Verstärkung, glaube ich, versteht Fraa Jad, dass nicht sämtliche interkosmischen Interferenzen verstärkt werden – sondern nur einige davon. Um Suur Moyras Beispiel zu zitieren, Interferenzen, die Elementarteilchen in einem Felsbrocken irgendwo im Weltraum betreffen, haben keinen Effekt.«
»Keinen außergewöhnlichen Effekt«, verbesserte ihn Paphlagon, »keinen unvorhersagbaren Effekt. Aber er erklärt, wohlgemerkt, alles, was diesen Felsbrocken betrifft: wie er Licht absorbiert und zurückstrahlt, wie seine Kerne zerfallen und so weiter.«
»Aber das gleicht sich statistisch alles irgendwie aus, und man kann einen Felsbrocken im Grunde nicht vom anderen unterscheiden«, sagte Lodoghir.
»Ja.«
»Das heißt, nur Interferenz, die von Bewusstsein verstärkt werden kann, ist solche, die sich auf Nervengewebe auswirkt.«
»Oder auf jedes andere bewusstseinstragende System«, sagte Paphlagon.
»Es ist also von vornherein ein höchst exklusiver Selektionsprozess am Werk, und zwar insofern, als sämtliche Interferenz, die in einem bestimmten Augenblick zwischen unserem Kosmos und
allen anderen Kosmen stattfindet, die ihm nahe genug sind, um eine solche Interferenz zu ermöglichen, sich in
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