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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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zerrten den Würfel mit sich hinunter wie Seegras, das einen Schwimmer ersäuft. Ich musste ziemlich husten und würgen, um die Gemüsesubstanz wieder zurück in meine Mundhöhle zu befördern, wo ich sie anständig kauen konnte. Das verlieh den Vorgängen etwas Dramatisches, wodurch sie für die anderen umso unterhaltsamer wurden. Durch Heben der Hand gab ich ihnen zu verstehen, dass mir nichts fehlte, und ließ mir Zeit mit dem Kauen dessen, was noch übrig war – ich hatte keine Lust, mir von den scharfen Splittern den Darm aufschlitzen zu lassen. Schließlich bekam ich das Ganze als fettiges, faseriges, dorniges Gewirr hinunter. Die Chancen, dass es nicht wieder heraufkommen würde, veranschlagte ich mit 60 zu 40. »Wisst ihr«, behauptete ich, »es ist gar nicht so viel schlimmer, als wenn man einfach nur vor dem Topf steht und sich Gedanken macht.«
    »Wie schmeckt es denn?«, fragte Tris.
    »Bist du mal mit der Zunge über die Polklemmen einer Batterie gefahren?«
    »Nein, ich habe ja noch nicht einmal eine Batterie gesehen.«
    »Mmm.«
    »Was jetzt die Wette angeht …«, sagte Arsibalt unsicher.
    »Ja«, sagte ich. »Viel Glück beim Saubermachen. Gib dir schön Mühe, wenn du dich um diese Kasserollen kümmerst, ja?«
    Ehe Arsibalt Einwände erheben konnte, bimmelte seine Glocke.
Tris und Karvall lachten über seinen Gesichtsausdruck, während er aus der Küche schlich.
    Im Messallan hatten die Doyns Zh’vaern – allerdings sehr viel taktvoller – nach seinem Essen gefragt, doch nun legte sich Fraa Paphlagon wieder ins Zeug: »Wie Kosmographen, die nachts arbeiten, weil man dann die Sterne sehen kann, werden wir uns im Laboratorium des Bewusstseins abmühen müssen, denn das ist die einzige Umgebung, die wir kennen, in der sich die Auswirkungen des Hyläischen Flusses beobachten lassen.« Er murmelte Arsibalt etwas zu. Daraufhin fuhr er fort: »Allerdings sollten wir nicht mehr von einer einzigen HTW, sondern stattdessen vom Docht sprechen; der Fluss perkoliert durch ein komplexes Netzwerk von Kosmen, die ›theorischer‹ als unserer oder ihm ›vorgeordnet‹ sind.«
    Arsibalt kehrte in die Küche zurück. »Paphlagon verlangt nicht nach mir, sondern nach dir.«
    »Wieso denn das?«, fragte ich.
    »Genau weiß ich es nicht«, sagte Arsibalt, »aber ich habe gestern mit ihm geplaudert und dabei auch einige der Gespräche erwähnt, die du mit Orolo geführt hast.«
    »Aha. Na, vielen Dank!«
    »Also stochere dir die Splitter aus den Zähnen und mach, dass du da reinkommst!«
    So kam es, dass ich den gesamten Hauptgang damit zubrachte, meine beiden Dialoge mit Orolo auf Ekba zu schildern: den ersten darüber, dass es sich, ihm zufolge, beim Bewusstsein um die rasche und flüssige Schaffung kontrafaktischer Welten innerhalb des Gehirns handele, und den zweiten, in dem er den Standpunkt vertreten hatte, dass es nicht bloß möglich, nicht bloß plausibel, sondern geradezu einfach sei, wenn man sich das Bewusstsein als etwas denke, das ein Ensemble geringfügig unterschiedlicher Versionen des Gehirns umfasse, die jeweils einen geringfügig anderen Kosmos überblickten. Paphlagon formulierte es am Ende besser: »Wenn der Hemnraum die Landschaft und ein Kosmos ein einzelner geometrischer Punkt darin ist, dann ist ein bestimmtes Bewusstsein ein Lichtfleck, der sich wie der Strahl eines Suchscheinwerfers über diese Landschaft bewegt – und dabei eine Anzahl von Punkten – von Kosmen – hell erleuchtet, die dicht beieinanderliegen und von einem Halbschatten umgeben sind, der sich zu den Rändern hin rasch in Dunkelheit verliert. In der hellen Mitte des Strahls ergeben
sich Interferenzen zwischen vielen Varianten des Gehirns. Von der halb erleuchteten Peripherie kommen weniger Beiträge, und aus den Schatten dahinter überhaupt keine.«
    Ich trat dankbar an die Wand zurück und versuchte meinerseits, im Schatten zu verschwinden.
    »Ich bin Fraa Erasmas zu Dank verpflichtet, weil er es uns ermöglicht hat, in Ruhe zu essen, wo wir unsere Mahlzeit so häufig mit Gerede unterbrechen müssen«, sagte Lodoghir schließlich. »Vielleicht sollten wir die Plätze mit den Servitoren tauschen und sie in Ruhe essen lassen, während Doyns ihnen Vorträge halten!«
    Barb lachte gackernd. Er hatte in letzter Zeit immer mehr Vergnügen an Lodoghirs Witz an den Tag gelegt und verhalf mir so zu der verstörenden Erkenntnis, dass Lodoghir vielleicht bloß ein alt gewordener Barb war. Aber nach kurzer Überlegung verwarf ich

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