Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
halbe Minute lang zu flüchten. Schließlich holte er ungeheuer tief Atem, als versuchte er, noch das letzte bisschen Luft aus dem Bus herauszusaugen, marschierte phlegmatisch den Mittelgang entlang und setzte sich hinter Jesry. »Dafür besorge ich mir wohl besser mein eigenes Buntglasfenster, verdammt noch mal.«
    »Vielleicht benennen sie ja sogar einen Orden nach dir – oder einen Konzent«, meinte ich.
    »Ja, vielleicht – falls es so was überhaupt noch gibt, wenn der Advent vorbei ist.«
    »Nun hör schon auf, wir sind für diese Leute die Hyläische Theorische Welt!«, sagte ich. »Wie können sie uns da zerstören?«
    »Indem sie uns dazu bringen, uns selbst zu zerstören.«
    »Genau«, sagte Jesry. »Du, Arsibalt, hast dich gerade selbst zum Beauftragten für die Truppenmoral von Zelle 317 ernannt.«
    Einige der Bemerkungen, die Arsibalt und ich gewechselt hatten, verstand Jesry nicht, und so machten wir uns daran, ihm zu erklären, was beim Messale passiert war. Während wir noch dabei waren, kam Jules Verne Durand an Bord, am ganzen Körper behängt mit einem bunten Allerlei von Beuteln, Flaschen und Körben. Dass er
zu unserer Zelle stieß, ging wohl auf eine Improvisation in letzter Minute zurück; mit ihm konnte Ala unmöglich gerechnet haben. Eine Zeitlang wirkte er leicht entsetzt, dann – wenn ich seine Miene richtig deutete – hellte sich seine Stimmung auf. »Mein Namensvetter wäre unsagbar stolz!«, verkündete er, marschierte den Mittelgang in ganzer Länge entlang und stellte sich der Reihe nach jedem Mitglied von Zelle 317 vor. »In solcher Gesellschaft verhungere ich mit dem größten Vergnügen!«
    »Dieser Außerarbrische muss ja einen seltsamen Namensvetter haben!«, murmelte Jesry, nachdem Jules an uns vorbeigekommen war.
    »Mein Freund, ich werde dir im Laufe der kommenden Abenteuer alles über ihn erzählen!«, sagte Jules, der das gehört hatte; Laterraner hatten offenbar ziemlich scharfe Ohren.
    »Zehn da, einer fehlt noch«, rief der Fahrer jemandem zu, der offenbar am Fuß der Treppe stand.
    »Also gut«, sagte eine vertraute Stimme, »dann mal los!« Lio kam in den Bus gesprungen. Hinter ihm schloss sich zischend die Tür, und wir setzten uns in Bewegung. Wie Jules vor ihm arbeitete sich Lio den Mittelgang entlang und hielt auch dann das Gleichgewicht, wenn sich der Bus schräg legte oder über unebenes Gelände holperte. Wer ihm unbekannt war, bekam einen Händedruck. Edharische Uhrenaufzieher bekamen eine wirbelsäulenanknacksende Umarmung. Thaler bekamen eine Verbeugung – allerdings fiel mir auf, dass sogar Fraa Osa sich förmlicher und tiefer vor Lio verbeugte als dieser vor ihm. Das war mein erster Anhaltspunkt, dass Lio unser Zellenleiter war.
    Wir waren in zwanzig Minuten beim Aerodrom. Die Eskorte von Fahrzeugen der Militärpolizei sorgte dafür, dass die Fahrt rasch vonstattenging. Kein Theater wegen Tickets oder Sicherheitsmaßnahmen; wir fuhren durch ein bewachtes Tor geradewegs zur Rollbahn und hielten neben einem Militärstarrflügler, der so gut wie alles transportieren konnte, an diesem Abend jedoch für die Beförderung von Passagieren ausgestattet war. Die Offiziere im vorderen Teil des Busses waren das Bordpersonal. Wir stiegen im Gänsemarsch aus, überquerten zehn Schritte offenes Pflaster und stiegen über eine Universaltreppe in das Luftfahrzeug. Ich war nicht froh. Ich war nicht traurig. Vor allem aber war ich nicht überrascht. Ich verstand Alas Logik vollkommen: Sobald sie sich damit abgefunden
hatte, dass sie die »schreckliche Entscheidung« traf, bestand der einzige Weg nach vorn darin, sie tatsächlich zu treffen – mit aller Konsequenz. Alle ihr liebsten Menschen zusammenzutun. Für sie war das Risiko größer – das Risiko nämlich, dass wir alle zugrunde gingen und sie den Rest ihres Lebens in der Gewissheit verbringen würde, dass sie schuld daran war. Für jeden einzelnen von uns war das Risiko dagegen geringer, weil wir einander beistehen konnten. Und wenn wir ums Leben kamen, so würden wir es in guter Gesellschaft tun.
    »Gibt es eine Möglichkeit, Suur Ala eine Nachricht zukommen zu lassen?«, fragte ich Sammann, nachdem wir alle unsere Plätze eingenommen hatten und die Maschinen so weit auf Touren waren, dass sie meine Stimme übertönten. »Ich möchte ihr sagen, dass sie recht hatte.«
    »Schon passiert«, sagte Sammann. »Noch irgendwas – solange ich einen offenen Kanal habe?«
    Ich überlegte. Es gab vieles, was ich hätte

Weitere Kostenlose Bücher