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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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zurückverwandelte. Die Handelsroute passte sich an, und man verfiel auf Elkhazg als den für eine Furt geeignetsten Ort, da eine der Nebenwirkungen des Math die Entwicklung einer relativ stabilen und wohlhabenden säkularen Gemeinde um seine Mauern gewesen war.
    Ein bestimmter Typus von mathischer Persönlichkeit hätte den Ort zu diesem Zeitpunkt verlassen und etwas Entlegeneres, vielleicht oben in den Bergen, aufgesucht. Die Warte von Elkhazg waren allerdings nicht so gestrickt und hatten irgendwann bemerkt, dass zu den Waren, die auf dem Rücken von Tieren über den Fluss befördert wurden, nicht nur Stoffe, Pelze und Gewürze, sondern auch Bücher und Schriftrollen gehörten. In einem Kompromiss, der Ma Kartas dazu gebracht hätte, sich aus ihrem Kalzedonsarkophag freizustrampeln und sie mit einer abgebrochenen Flasche zu
verfolgen, hatten sie ein blühendes Nebengewerbe in Form einer an den Math angrenzenden Karawanserei nebst Fähre über den Fluss gegründet. Der einzige Lohn, den sie verlangten, war, dass die Fraas und Suurs von Elkhazg von jedem Buch und jeder Schriftrolle, die durchkamen, eine Abschrift anfertigen durften. Es wurden Bücher abgeschrieben, deren Bedeutung sie nicht einmal kannten. Aber sie interpretierten ihre Vollmacht recht großzügig und begannen außerdem, Kopien der geometrischen Muster anzufertigen, die sie auf Stoffen, Keramik und anderen Gütern sahen. Denn diese Fraas und Suurs interessierten sich besonders für Planimetrie und Kachelungsprobleme. Und so war Elkhazg, um eine lange Geschichte etwas abzukürzen, für Theoren in aller Welt zum Synonym für Kachelungsprobleme geworden. Wichtige Kachelformen und Theoreme über ihre Eigenschaften wurden nach Fraas und Suurs benannt, die hier gelebt hatten, oder nach bestimmten Wänden und Böden in diesem Komplex.
    Es war kein Math mehr. Zur Zeit der Wiedergeburt war seine Bibliothek über die ganze Welt verstreut und kopiert worden, und das Gebäude war in private Hände übergegangen. Zur Zeit der Rekonstitution war es nicht in einen neuen Math umgewandelt, sondern stattdessen – was Magnath Foral nicht geradeheraus sagte, was jedoch mühelos zu erschließen war – von einem langlebigen Komplex finanzieller Interessen übernommen worden, welcher demjenigen, der Ekba betrieb, ähnlich, höchstwahrscheinlich sogar derselbe war.
    Fraa Jad schwänzte die Einführung und trollte sich in einen anderen Hof. Elkhazg war groß und reich gewesen und verfügte über unzählige Höfe. Inzwischen musste es auf der Bevölkerungsverteilungskarte der Stadt wie ein großes, weitläufiges schwarzes Loch anmuten, denn die einzigen Menschen, die hier lebten, waren Magnath Foral und ein anderer Mann, der sein Liaisonpartner war, ein paar Avot auf Besuch (die man jedoch gestern allesamt fortgeschickt hatte) und ein Stab von Leuten, die als Hausmeister und Kuratoren fungierten und sich um die Anlage kümmerten. Denn eines der Probleme mit dieser Art von Kunst – d. h. an Steinwände zementierte Kacheln – war, dass man sie nicht in ein Museum verfrachten konnte.
    Mein Gehirn hätte eigentlich abschalten müssen, da ich seit dem Schaufelexperiment in Tredegarh am Vortag im Grunde genommen keine Ruhe mehr gehabt hatte und die Zeit seither abnorm ereignisreich
gewesen war. Doch Elkhazg war als visuelle Umgebung überwältigend reich – und wäre es auch dann gewesen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass jedes Kachelmuster nicht nur ein faszinierendes, kompliziertes Kunstwerk, sondern auch eine tiefsinnige theorische Aussage war, die in einer Sprache auf mich einbrüllte, die zu verstehen ich zu müde oder zu dumm war. Dieser Umstand wirkte wie eine Injektion mit Hüpfkrautextrakt oder etwas dergleichen und hielt mich auf Kosten meiner geistigen Gesundheit noch eine Stunde wach. Als ich die Augen schloss, um mich von der unaufhörlichen Grandiosität ein wenig zu erholen, kamen Fragen aus der Dunkelheit gekrochen. Dass unser Gastgeber denselben Familiennamen trug wie Frau Ministerin, war natürlich interessant. War es ein Zufall, dass Zelle 317 hier gelandet war? Natürlich nicht. Was hatte es zu bedeuten? Unmöglich zu sagen. Sollte ich überhaupt versuchen, das jetzt zu enträtseln? Nein – genauso wenig, wie ich versuchen sollte, die Bedeutung der Kachelmuster zu begreifen, die jede Oberfläche um mich herum einnahmen und zu versuchen schienen, unter meine geschlossenen Augenlider zu kriechen und mir ins Gehirn zu dringen.
    Einer der Höfe war –

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