Anathem: Roman
mit geometrischen Mustern verziert waren.
»Wenn Urnudjahre in etwa wie unsere sind, dann ist das eine lange Zeit«, sagte ich. »Danke, Fraa Arsibalt.«
»Die Urnuder, und später die Troäner, sind zwischen den Adventen lange Zeit herumgeirrt. Laut Jules erklärt das, warum sie leicht reizbar sind.«
»Können wir vielleicht einen Umrechnungsfaktor …«, sagte Jesry in einem Ton, der besagte: Der Teufel soll mich holen, wenn ich dieses Gespräch herumirren lasse.
»Eben daran habe ich gearbeitet«, sagte Sammann und nickte Arsibalt dankend zu. Er nahm einen Schluck Wasser. Elkhazg hatte ein Klima, das die Feuchtigkeit aus einem heraussog. »Das Problem liegt darin, dass Jules Sprachwissenschaftler ist. Er hat dieser Angelegenheit keine große Beachtung geschenkt. Er kennt den Zeitablauf in Urnudjahren – das ist dort oben deren übliche Zeiteinheit -, nicht aber den Faktor für die Umrechnung in Arbrejahre. Allerdings konnte ich diesen aufgrund einiger Hinweise erschließen …«
»Was für Hinweise?«, wollte Jesry wissen.
»Während wir anderen Tredegarh geräumt haben, hat eine Einheit von Thalern das Quartier der so genannten Matarrhiten angegriffen und eine Menge Dokumente und Synvors erbeutet, ehe die
Leute von Urnud und Tro sie vernichten konnten. Meine Brüder sind immer noch dabei, die Synvors zu virtualisieren – egal -, aber einige der Dokumente tragen Zeitstempel in urnudischen Einheiten, die sich mit jüngsten Ereignissen auf unserem Kalender abgleichen lassen.«
»Moment mal, bitte, wie können wir ein Dokument auf Urnudisch überhaupt lesen?«, fragte Arsibalt, setzte sich und nahm sich den anderen Kanten.
»Gar nicht. Aber ein Kryptoanalytiker kann ohne weiteres erkennen, dass viele von den Dokumenten dasselbe Format haben, und dazu gehört auch eine Reihe von Zeichen, die sich leicht als Zeitstempel entschlüsseln lassen. Und sie haben ein spezielles phonetisches Alphabet zur Umschrift von Eigennamen; das holen sie jedes Mal aus der Versenkung, wenn sie auf einen neuen Planeten stoßen. Auch das ist unschwer zu entschlüsseln. Wenn wir also ein Dokument sehen, das die phonetische Umschrift von Jesry und von seinem Loktor beim Plenar enthält …«
»Können wir schlussfolgern, dass es sich um einen Bericht über das Plenar handelt, an dem ich nach meiner Rückkehr aus dem Raum teilgenommen habe«, sagte Jesry, »und das Arbre-Datum dieses Ereignisses kennen wir. Sehr schön. Ich gebe zu, dass solche Gegebenheiten einen in die Lage versetzen, ansatzweise einen Umrechnungsfaktor abzuschätzen, der Arbrejahre zu Urnudjahren in Beziehung setzt.«
»Ja«, sagte Sammann. »Und es gibt noch einen gewissen Fehlerbereich, aber ich glaube, dass die Urnuder ihre interkosmische Reise, in Arbrejahren gerechnet, vor 910 Jahren, plus oder minus 20, angetreten haben.«
»Irgendwo zwischen 890 und 930 Jahren«, übersetzte ich, aber damit stießen meine Rechenfähigkeiten so früh am Morgen schon an ihre Grenzen. Sammann funkelte mich wild an, um mich durch schiere Willenskraft zu zwingen, ein bisschen schneller aufzuwachen, den nächsten Schritt zu tun, aber bloßes Kopfrechnen war nicht meine Stärke, zumal wenn ich ein Publikum hatte.
»Zwischen 2760 und 2800 A. R.?«, sagte eine neue Stimme: Lio, der mit Jules Verne Durand durch das Klostrum kam. Die beiden sahen nicht so aus, als wären sie gerade erst aufgestanden: Ich vermutete, dass Lio den Laterraner gelöchert hatte.
»Ja!«, sagte Sammann. »Zur Zeit der Dritten Verheerung.«
Einer von Magnath Forals Leuten kam mit einer riesigen Schüssel voller geschältem und kleingeschnittenem Obst heraus und begann es in Schalen zu löffeln, die wir herumreichten.
Jules brach sich ein Stück Brot ab und begann zu essen. Das überraschte mich zunächst, da er ihm ja keinerlei Nährwert abgewinnen konnte; aber ich überlegte, dass es ihm den Magen füllen und er sich dadurch weniger hungrig fühlen würde.
»Moment mal«, sagte Jesry, »versuchst du etwa, eine Theorie zu entwickeln, dass hier eine Ursache-Wirkung-Beziehung besteht? Dass die Urnuder ihre Reise infolge von Ereignissen angetreten haben, die hier auf Arbre stattfanden?«
»Ich sage lediglich, dass es sich um eine Koinzidenz handelt, die man sich genauer anschauen muss«, sagte Sammann.
Wir aßen und dachten nach. Beim Essen hatte ich einen Vorsprung, deshalb unterrichtete ich Jesry und Lio – sowie andere, die noch hereinschneiten, wie beispielsweise die drei Thaler – über die
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