Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson

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natürlich – ein Dekagon. Fraa Jad fand ihn. Das Teglon war darin bereits gelöst, vielleicht von irgendeinem Meister-Geometer von ehedem, vielleicht mithilfe einer Synvor. Bis jetzt hatte keiner von uns jemals persönlich eine vollständige Lösung gesehen, sodass wir eine ganze Weile einfach nur gafften. An den Rändern aufgestellt waren Körbe mit zusätzlichen Teglon-Kacheln in anderer Farbe, die Fraa Jad mit der Fußspitze herumschob. Mir fiel ein, dass ich ihn noch nie hatte schlafen sehen. Vielleicht machten Tausender ja etwas anderes. Wir überließen ihn dem Teglon. Magnath Foral führte den Rest von uns in das Alte Klostrum, das seit fünftausend Jahren nicht umgestaltet worden war. Das heißt, es gab dort weder Elektrizität noch sanitäre Anlagen. Jeder von uns bekam eine Zelle. Meine hatte ein Bett und jede Menge Kacheln. Ich schloss ein paar ungeheuer alte und baufällige Läden, damit ich die Kacheln nicht sehen und demzufolge auch nicht an sie denken musste, dann sank ich auf die Knie und tastete mich so zum Bett.

    »Mir ist eingefallen«, sagte Arsibalt, als wir beide das nächste Mal wach waren, »dass wir so etwas, glaube ich, nicht haben.«
    »Wir heißt …?«

    »Die moderne mathische Welt nach der Rekonstitution.«
    »Und so etwas heißt …?«
    Er hob die Hände und schaute sich um, als wollte er sagen: Bist du blind?
    Wir standen neben einem Tisch in einem zum Klostrum hin offenen Alkoven. Der Boden des Klostrums selbst war mit Tausenden von identischen, hornförmigen, neunseitigen Kacheln bedeckt, die mit maschinenwerkzeughafter Präzision zu einem sich nicht wiederholenden Doppelspiralmuster zusammengefügt waren, von dessen bloßem Anblick ich seekrank wurde. Ich kehrte ihm den Rücken zu und betrachtete den Laib Brot, der auf dem Tisch lag. Er war so frisch, dass aus dem Ende Dampf hervorströmte – Arsibalt, ein notorischer Kantenstibitzer, hatte sich bereits darüber hergemacht. Der Laib bestand aus mehreren Teigsträngen, die zu einem nichttrivialen Muster verflochten waren, das, so befürchtete ich, tiefe knotentheorische Bedeutung hatte und nach irgendeinem elkhazgischen Saunt benannt war. »Ich glaube einfach nicht, dass wir irgendetwas haben, was so alt und so – na ja, phantastisch ist«, fuhr Arsibalt fort, während er ein knuspriges Stück Brotkanten kaute.
    »Unversehrt bleiben kann man wohl auf mehr als eine Art«, sagte ich, während ich mir einen Brocken Brot abbrach und mich an den Tisch setzte – der, unvermeidlich, alt und mit präzise ausgesägten Platten aus diversen exotischen Hölzern belegt war. »Man kann einfach aufhören, ein Math zu sein.«
    »Und dadurch von Verheerungen verschont bleiben.«
    »Genau.«
    »Aber was für ein Gebilde besitzt etwas viertausend Jahre lang?«
    »Genau das habe ich mich schon auf Ekba ständig gefragt.«
    »Ah, dann hast du mir also etwas voraus, Fraa Erasmas.«
    »So könnte man das vermutlich sehen.«
    »Zu welchem Schluss bist du gekommen?«
    Ich hielt ihn eine Zeitlang hin, indem ich das Brot kaute – möglicherweise das beste, das ich je gegessen hatte. »Dass es mir egal ist«, sagte ich schließlich. »Ich muss die Satzung, das Organisationsdiagramm, die Finanzberichte und die langweilige Geschichte der Stammlinie nicht kennen.«
    Arsibalt war entsetzt. »Aber wie kann man denn nicht fasziniert sein von …«
    »Ich bin durchaus fasziniert«, widersprach ich. »Das ist ja das Problem.
Ich leide unter Faszinations-Burnout. Von allem, was faszinierend ist, muss ich mich auf eines oder zwei beschränken.«
    »Hier habe ich was, das in die engere Wahl kommen dürfte«, verkündete Sammann, der aus einem angrenzenden Hof – wo man, wie ich schlussfolgerte, Retikulumzugang hatte – in das Klostrum gekommen war. Er setzte sich neben mich und legte sein Nicknack auf den Tisch. Der Schirm war mit den Berechnungen übersät, die ich ihn im Flugzeug hatte anstellen sehen. »Chronologie«, sagte er. »Laut Jules beträgt die Zeitspanne, die verstrichen ist, seit die Daban Urnud ihre erste interkosmische Reise angetreten hat, achthundertfünfundachtzigeinhalb Jahre.«
    »Wessen Jahre?«, fragte Jesry, der, vom Geruch des Brotes angelockt, die Treppe von seiner Zelle heruntergeflitzt kam. Er ging es an wie ein Ringer und riss sich einen Brocken davon ab.
    »Das ist natürlich die ganze Frage«, sagte Sammann mit einem Grinsen.
    Arsibalt bemerkte einen Krug Wasser auf einer Anrichte und begann, Steingutbecher damit zu füllen, die