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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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gehüllte industriell in Massen angefertigte Würfel. Früher, als es noch mehr Fahrzeuge gegeben hatte, war die ganze Breite des öffentlichen Weges von gestreiften Fahrspuren in Anspruch genommen worden. Jetzt gab es eine Menge Fußgänger und Leute, die auf Rollern und bereiften Brettern und Vorrichtungen mit Pedalantrieb unterwegs waren. Doch statt sich in geraden Linien fortzubewegen, mussten sie sich, wie wir auch, Routen zusammenstückeln, die die Gehwegplatten verbanden, von denen die Geschäfte umgeben waren wie eine Inselkette vom Meer. Mäandernde Risse in den Platten wurden durch messerrückendünne Hüpfkrauthecken betont, die über lange Zeit Staub und Verpackungen aus dem Wind gesiebt hatten. Die Sonne war schon kurz nach Tagesanbruch hinter Wolken verschwunden, aber jetzt kam sie wieder zum Vorschein. Wir begaben uns in den Schatten eines Geschäfts, in dem verschiedenfarbige Reifen an junge Männer verkauft wurden, die ihre Hole und frisierten Mobos verschönern wollten, und verwandten ein paar Minuten darauf, unsere Kullen neu zu drapieren, um unsere Köpfe zu schützen.
    »Du willst etwas«, sagte ich. »Du bist mürrisch, weil du es noch nicht hast. Ich glaube nicht, dass es Krempel ist, was du willst, denn du hast das alles hier überhaupt nicht beachtet.« Ruckartig drehte ich den Kopf zu einem Bildschirm mit bunt schillernden Neustoffreifen. Auf den Seiten der Reifen kamen und gingen bewegte Bilder von nackten Frauen mit übertrieben großen Brüsten.
    Jesry schaute sich eine Zeitlang eins der bewegten Bilder an, dann zuckte er die Achseln. »Ich nehme an, ich könnte den Konzent verlassen und lernen, solche Dinge zu mögen. Offen gesagt kommt mir das ziemlich dämlich vor. Vielleicht hilft es, wenn man dasselbe isst wie sie.«

    Wir setzten unseren Weg über die Platten fort. »Schau mal«, sagte ich, »zumindest seit dem Praxischen Zeitalter ging man davon aus, dass das Gehirn, wenn genug Allesgut im Blutkreislauf schwimmt, einem auf hundert verschiedene Arten sagen wird, dass alles in Ordnung ist …«
    »Und wenn nicht, endet man so wie du und ich«, sagte er.
    Ich bemühte mich, ungehalten zu werden, gab es dann aber lachend auf. »Also gut«, sagte ich, »versuchen wir’s damit. Vor einer Minute sind wir an einem Frohkrautstand auf dem Mittelstreifen vorbeigekommen …«
    »Ich habe ihn auch gesehen, und den vor dem Secondhand-Pornoladen auch.«
    »Da sah es frischer aus. Wir könnten uns welches holen und es essen, und am Ende würde der Frohkrautspiegel in unserem Blut ansteigen, und wir könnten hier draußen – oder irgendwo – leben und glücklich sein. Wir könnten aber auch in den Konzent zurückkehren und versuchen, auf ehrliche Weise zu unserem Glück zu gelangen.«
    »Du bist so leicht zu täuschen«, sagte er.
    »Angeblich bist du doch der Sonnyboy der Edharier«, sagte ich, » du sollst doch derjenige sein, der ohne mit der Wimper zu zucken dieses Zeug schluckt. Offen gestanden bin ich überrascht.«
    »Und was bist du jetzt, Raz? Der zynische Prokier?«
    »Das scheinen die Leute zu denken.«
    »Schau«, sagte Jesry, »ich sehe die älteren Avot, die hart arbeiten. Diejenigen, die die Draufsicht haben – die durch das Licht des Knous erleuchtet sind …«, das sagte er in spöttischem Tonfall; er war so frustriert, dass er willkürlich herumschwenkte und ausholte, während er von einem Gedanken zum nächsten sprang, »sie beschäftigen sich mit der Theorik. Die weniger Begabten fallen zurück und hauen Steine oder halten Bienen. Die wirklich Unglücklichen verlassen den Konzent oder stürzen sich vom Mynster. Diejenigen, die bleiben, scheinen glücklich zu sein, was immer das bedeutet.«
    »Sicher glücklicher als diese Leute hier draußen.«
    »Da bin ich anderer Meinung«, sagte Jesry. »Diese Leute sind so glücklich wie, sagen wir, Fraa Orolo. Sie bekommen, was sie wollen: nackte Frauen auf ihren Reifen. Er bekommt, was er will: Draufsicht auf die Geheimnisse des Universums.«
    »Dann lass uns doch offen reden: Was willst du?«

    » Dass etwas passiert «, antwortete er. »Mir ist fast egal, was.«
    »Würde es zählen, wenn du einen großen Fortschritt in der Theorik machtest?«
    »Sicher, aber wie stehen die Chancen, dass ich das tue?«
    »Es hängt von den Gegebenheiten ab, die von den Observatorien kommen.«
    »Richtig. Das habe ich also nicht in der Hand. Was mache ich in der Zwischenzeit?«
    »Theorik studieren, darin bist du doch gut. Bier trinken. Tivische

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